Das Hohelied des Todes
Ausgefallenes wie Aktien oder Schatzbriefe, nur schönes, altmodisches Geld, das die Bank verstopfte. Ein paar Millionen für schlechte Zeiten.
Allmählich machte sich bei Decker die Müdigkeit bemerkbar. Er saß ab und brachte den Hengst in den Stall zurück, gefolgt von Ginger, die nach seinen Fersen schnappte. Er tätschelte dem Setter den Kopf und stellte den Tieren Wasser hin – Hund und Pferd tranken gemeinsam aus einem Eimer. Dann striegelte er dem Hengst gründlich das Fell. Eine Stunde später war er reif für die heiße Dusche.
Gespannt blätterte er weiter. Aufrecht im Bett sitzend, verschlang er die letzten Seiten des Krimis. Rumms! Die Bullen hatten die High-Society-Schnepfe einfach über den Haufen geknallt. Sie waren vollkommen im Recht, aber für einen Roman war das trotzdem ziemlich starker Tobak. Der Autor hatte nicht gekniffen, nur weil ein zartes Frauchen daran glauben mußte. Das gefiel ihm. Aber die Bullen taten ihm leid. Der ganze Papierkrieg. Außerdem mußten sie sich auf ein Disziplinarverfahren gefaßt machen. Und da die Familie der Frau Geld hatte, war mit einem kostspieligen Prozeß zu rechnen. Ihre Vorgesetzten saßen ihnen im Nacken, und die Medien natürlich auch!
Es klingelte. Zehn Seiten vor dem Ende. Er warf einen Blick auf den Wecker, halb zwölf. Er hatte drei Stunden gelesen.
Wer konnte das so spät noch sein?
Widerwillig legte er das Buch weg und stieg aus dem Bett. Nackt, wie er war, warf er sich seinen Morgenmantel über und ging zur Tür. Zu seiner Überraschung stand Rina vor ihm.
»Was ist passiert?« fragte er.
»Kann ich reinkommen?«
»Ja … sicher.« Er ließ sie ins Haus. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja.«
Ihr Blick wanderte an seinem Körper hinunter, was ihn gleichzeitig erregte und verlegen machte. Sie wandte sich ab und setzte sich mit gefalteten Händen in einen Ledersessel. Decker nahm gegenüber Platz und wartete ab. Aber sie sagte nichts.
»Was gibt es?« fragte er schließlich.
»Du hast mich nicht zurückgerufen. Ich dachte mir, daß ich dich um diese Zeit ganz bestimmt hier antreffe.«
»Ich wollte dich zurückrufen …«
»Aber du hast es einfach nicht geschafft.«
»Ich stecke bis über beide Ohren in Arbeit, Rina.«
Sie schwieg.
»Wer paßt auf die Kinder auf?« fragte er.
»Sie übernachten bei meinen Eltern.«
Decker fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Warte, ich zieh mich schnell an …«
»Nicht nötig. Es dauert nicht lange. Morgen abend fliege ich nach New York. Ich wollte mich nur noch von dir verabschieden.«
»Wann kommst du wieder?«
»Ich ziehe nach New York.«
Decker riß den Mund auf.
Sie zuckte mit den Schultern.
»Lebwohl«, sagte sie.
»Du ziehst weg?«
»Ja.«
»Für immer?«
Sie nickte.
»Du verläßt die Jeschiwa?«
»In der Jeschiwa habe ich Halt und Geborgenheit gefunden. Doch nun kann sie nichts mehr für mich tun. Ich muß mein Leben wieder selbst in die Hand nehmen.«
»Einfach so? Du holst die Kinder ab, und dann zieht ihr nach New York?«
Sie nickte erneut.
Decker war wie vor den Kopf geschlagen.
»Wie finden die Jungen das?« fragte er schließlich mit belegter Stimme.
»Sie sind schon ganz aufgeregt.«
»Was willst du denn in New York machen?« Decker sprang auf und tigerte durch das Zimmer. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und in seinem Schädel pochte es. »Hast du dir schon überlegt, wovon du leben willst?«
»Die Eltern meines Mannes haben mir ganz in ihrer Nähe eine Wohnung besorgt«, antwortete sie ruhig. »Mit meinen Schwiegereltern bin ich immer gut ausgekommen. Viel besser als mit meinen Eltern. Sie freuen sich schon auf mich, vor allem auch, weil sie jetzt endlich ihre Enkel richtig kennenlernen können. Eine von Yitzchaks Schwestern, mit der ich mich sehr gut verstehe, hat auch schon eine Arbeit für mich gefunden.«
Decker geriet in Panik.
»Was für eine Arbeit?« fragte er.
»Als Buchhalterin in der Firma ihres Mannes.«
»Was ist das für eine Firma?« fragte er. Als ob ihn das interessierte!
»Ein Pelzgroßhandel. Sie liefern Pelze an größere Kaufhäuser.«
»Was verstehst du denn von Buchhaltung?« fuhr er sie an. Wieso stelle ich ihr diese saublöden Fragen?
»Immerhin bin ich Mathelehrerin, schon vergessen?«
»Das ist doch etwas anderes als Buchhaltung!« Wie kann sie nur so verdammt ruhig bleiben?
»Das kriege ich schon hin«, sagte sie. »Peter, hier hält mich nichts mehr. Mein Haus ist ein Alptraum verlorener Liebe und vertaner
Weitere Kostenlose Bücher