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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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welchen haben will.«
    »Wir können uns doch auch abwechseln«, sagte Jacob, der die Plastikverpackung schon aufgerissen hatte. Er zog so lange an den gegossenen Metallteilen herum, bis sich die Figur von einem Bulldozer in einen handgroßen Roboter verwandelt hatte.
    »Habt ihr schon Reisefieber?« fragte Decker.
    »Und wie!« rief Sammy, der sein Spielzeug noch eingepackt in der Hand hielt. »Ich freue mich schon so auf meine Bube und meinen Sejde.«
    Decker warf einen Blick auf Rinas Eltern. Sie taten so, als hätten sie nichts gehört, aber man sah ihnen an, daß sie verletzt waren.
    »Ihr habt viele Verwandte in New York, nicht wahr?« fragte Decker leise.
    »Massenhaft!« sagte Sammy. »Die zwei Schwestern von meinem Abba wohnen da. Tante Esther hat fünf Kinder, und die älteste ist gerade achtzehn geworden und hat schon den Führerschein! Tante Shayna hat vier Kinder, und mein Vetter Reuven und ich sind nur zwei Tage auseinander.«
    »Und Shimon und ich sind nur zwei Monate auseinander«, sagte Jake.
    »Ich sehe genauso aus wie Reuven«, fuhr Sammy fort. »Früher haben die Leute immer gedacht, wir wären Zwillinge, weil ich wie mein Abba aussehe und er wie Tante Shayna, und weil mein Abba und Tante Shayna sich so ähnlich gesehen haben. Und weißt du was noch?«
    »Was noch?«
    »Ich habe in New York auch noch drei Urgroßeltern! Sie sind sehr alt – dreiundsiebzig oder vierundsiebzig.«
    »Toll«, sagte Decker.
    »Und sie sind noch nicht mal verkalkt oder so.«
    Decker lachte. Seine Eltern waren fast auch schon so alt. »Dann wird es euch da ja bestimmt gefallen.«
    »Ima sagt, wir kommen in eine große Schule«, sagte Jake. »Und da sind überall ganz viele Leute, also brauchen wir keine Angst zu haben, daß die bösen Männer mit den Leichen kommen oder wenn unsere Ima allein ist.«
    Plötzlich wurde der jüngere der beiden Brüder still und schmiegte sich mit dem Kopf an Deckers Schulter.
    »Ich vermisse dich bestimmt, Peter. Und die Pferde auch. Ich glaube nicht, daß es in Borough Park Pferde gibt.«
    Als Decker sich vorstellte, wie eine Pferdeherde durch Brooklyn galoppierte, mußte er schmunzeln.
    »Ich vermisse dich sicher auch«, sagte Sammy leise.
    »Und ihr zwei werdet mir wahnsinnig fehlen. Mehr als ihr ahnt. Aber ich freue mich auch, weil es euch bei der Familie von eurem Abba bestimmt gut gefallen wird.«
    Decker drückte die Jungen an sich und gab jedem einen dicken Kuß.
    »Paßt auf euch auf.«
    »Wartest du denn nicht mehr auf Ima?« fragte Jake.
    »Ich suche sie am Kiosk.« Decker stand auf und nickte Rinas Eltern zu.
    »Es war nett, daß Sie noch gekommen sind«, sagte Mr. Elias.
    »Ich konnte die Jungen doch nicht abreisen lassen, ohne mich zu verabschieden.«
    Rinas Mutter würdigte ihm kaum eines Blickes.
    »Auf Wiedersehen, Mrs. Elias.«
    »Auf Wiedersehen«, sagte sie steif.
    Decker zauste den Jungen noch einmal liebevoll die Haare und ging dann traurig zum Kiosk. Er wußte, daß er die beiden sehr vermissen würde, aber wenigstens schienen sie sich auf den Umzug zu freuen. Immerhin ein kleiner Trost.
    Rina blätterte in einem Taschenbuch. Sie trug einen blaßrosa Strickpullover mit Zopfmuster, einen weiten, grauen Faltenrock und graue Wildlederstiefel. Die Haare hatte sie sich mit einem gestrickten Angoraband hochgebunden. In dem grellen Neonlicht sah ihr Gesicht weich und friedlich aus.
    Er stellte sich neben sie und nahm ihr das Buch aus der Hand. Sie fuhr zusammen.
    »Peter! Was machst du denn hier? Du solltest doch nicht kommen!«
    »Ich wollte mich von den Jungen verabschieden.« Er warf einen Blick auf das Taschenbuch. »Der Schlitzer – Die wahre Geschichte einer Frau, die dem Grauen begegnete. Sag bloß, das willst du lesen?«
    Sie fing an zu weinen und konnte nicht mehr aufhören. Decker stellte das Buch zurück, nahm sie beim Arm und führte sie in eine Ecke, wo sie ungestört waren und umarmte sie.
    »Ich wußte … ich wußte, daß es so kommen würde«, schluchzte sie.
    Er wiegte sie in seinen Armen und küßte sie auf das zarte Ohrläppchen, das mit einem kleinen Diamantstecker geschmückt war.
    »Bleib bei mir«, flüsterte er.
    Sie antwortete nicht. Ihm war klar, daß sie gehen mußte. Es war für sie beide das beste. Doch auch ein zum Tode Verurteilter darf hoffen und beten, noch in letzter Sekunde begnadigt zu werden.
    »Ich liebe dich«, sagte er. »Wir finden eine Lösung, wenn du bei mir bleibst.«
    Sie sagte noch immer nichts. Mit dem tränennassen

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