Das Hohelied des Todes
»Aber wenn Cindy mich übers Wochenende besucht, sperre ich ihn weg. Wenn du mit den Kindern kommst, sperre ich ihn weg.«
Als sie ihm den Kaffee reichte, fiel ihr die leichte Ausbuchtung unter seinem Jackett auf. Er hatte die Waffe während des Toraunterrichts getragen. Irgendwie störte sie das, aber sie sagte nichts. Es wäre lächerlich gewesen, ihn darauf anzusprechen, nachdem sie sich gerade erst selbst einen Revolver zugelegt hatte. Sie setzte sich neben ihn, nahm die Waffe in die Hand, starrte sie an und legte sie wieder weg.
»Wenn du deswegen zwiespältige Gefühle hast«, sagte Decker leise, »fang gar nicht erst damit an. Du kannst es dir immer noch anders überlegen, Rina.«
»Nein«, beharrte sie. »Ich will wissen, wie man damit umgeht. Auch wenn ich das Ding hoffentlich nie benutzen muß.«
Er nahm den Colt und visierte am Lauf entlang.
»Ich könnte ihn mit nach Hause nehmen«, sagte er. »Ich reinige und öle ihn. Vielleicht schließe ich ihn sogar für dich ein.«
»Ich habe eine bessere Idee. Warum zeigst du mir nicht lieber, wie man eine Waffe reinigt, ölt und einschließt?«
Er runzelte die Stirn.
»Was für romantische Sachen wir zusammen unternehmen, Rina. Wir reden über Religionsphilosophie und reinigen Revolver. Was ist eigentlich aus den Mondscheinspaziergängen am Strand geworden?«
»Nachts ist man am Strand nicht sicher, und das Meer ist vergiftet.«
»Was bist du doch für eine unverbesserliche Romantikerin.«
Sie kräuselte die Lippen und lächelte geheimnisvoll.
»Der sarkastische Ton wird dir noch leid tun.« Sie zog eine Schublade auf und holte eine flache, rechteckige Schachtel heraus. »Etwas, was du morgen zum Schabbat tragen kannst.«
Sie hat mir eine Krawatte gekauft, dachte er.
Sie blieb vor ihm stehen, während er die Schachtel aufmachte. Darin lag ein flacheres, schwarzes Satinkästchen. Decker sah Rina fragend an.
»Aufmachen«, befahl sie.
Er nahm den Deckel ab.
»Eine Uhr?«
»Gefällt sie dir?«
»Rina – das ist ja echtes Gold.«
»Gefällt sie dir?«
Er stand auf und nahm sie in den Arm.
»Sie ist wunderschön, Schatz. Aber ich kann sie nicht annehmen.«
»Und ob du sie annehmen kannst. Es bleibt dir gar nichts anderes übrig. Ich habe etwas auf die Rückseite gravieren lassen, also kann ich sie nicht mehr umtauschen.«
Er drehte die Uhr um und las lächelnd die Inschrift.
»Weil ich dich liebe, Peter«, sagte sie leise. »Ich kann es dir zwar körperlich nicht zeigen, aber an meinen Gefühlen ändert das trotzdem nichts.«
»Ich liebe dich auch, Rina.« Er gab ihr einen angemessen keuschen Kuß auf den Mund. Jetzt wußte er mit Sicherheit, daß er in dieser Nacht kein Auge mehr zu tun würde. »Ich bin sprachlos.«
»Ich sehe, wie du im Bejs hamidrasch lernst, Peter. Du weißt nicht einmal, daß ich da bin, aber ich sehe dich über dem Alef-Bejs sitzen, sehe, wie du liest, wie du grübelst. Das sagt mir alles … Ich kannte mal einen Jungen. Er war ein Ba’al Tschuwa – ein ursprünglich nichtreligiöser Jude, der umgekehrt ist und beschlossen hat, sein Leben der Tora zu weihen. Er hat vielleicht sechs Monate durchgehalten. Er empfand es als entmannend. Sein Wissen war nicht groß genug, und das konnte er nicht ertragen. Ein Mensch muß außergewöhnlich viel Größe besitzen, um das zu tun, was du versuchst – alles neu zu lernen. Ich glaube nicht, daß ich es könnte. Ich beneide dich um deine Charakterstärke.«
Sie drückte ihn an sich.
»Ich bin gerührt«, sagte Decker.
»Das Lob hattest du verdient.«
Mit einemmal machte sich bei Decker auch ein körperliches Verlangen nach Liebe bemerkbar. Wahrscheinlich empfand Rina genauso, denn sie löste sich plötzlich von ihm. Er sagte: »Kannst du die Uhr bis morgen für mich aufheben? Ich gehe jetzt noch nicht nach Hause, und ich möchte sie nicht mitnehmen.«
»Wohin willst du noch?«
»Einer Ausreißerin nachspüren – falls sie überhaupt eine Ausreißerin war. In der Glitzerwelt von Hollywood.«
7
Er parkte in einer Nebenstraße des Sunset Boulevard, östlich vom Strip, nahm Kippa und Schlips ab und knöpfte an seinem weißen Hemd die oberen Knöpfe auf. Nachdem er sich ein paar Goldkettchen umgehängt hatte, betrachtete er sich im Rückspiegel. Er mußte sich mal wieder rasieren, was ihm sehr gelegen kam, aber ganz zufrieden war er mit seinem Aussehen trotzdem noch nicht. Er zauste sich die Haare und zog eine Locke tief in die Stirn, dann legte er das braune Jackett ab
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