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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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wollen Sie?« wiederholte sie.
    »Ich suche eine Ausreißerin.« Er zeigte ihr Lindseys Foto.
    Sie sah es sich an, dann schüttelte sie den Kopf.
    »Wie kommen Sie darauf, daß sie sich hier rumtreibt?« fragte sie.
    »Sie ist nicht hier. Sie liegt zwei Meter unter der Erde. Aber möglicherweise war sie hier, bevor sie in der Leichenhalle gelandet ist.«
    »Sie sind nicht von der Sitte?«
    »Nein. Mordkommission.«
    Die Nutte sah sich das Bild noch einmal an.
    »Die kenne ich nicht.«
    Er nahm ihr die Handschellen ab, verstellte ihr aber den Weg.
    »Wo hängt bei euch der Nachwuchs rum?«
    »Überall und nirgends.«
    »Na, los doch.«
    »Es ist aber so. Die Küken gehen schließlich genauso anschaffen wie wir alten Hasen, Süßer, auch wenn die Muschi noch ein bißchen neuer ist.«
    Decker verzog das Gesicht. »Überleg doch mal – du bist gerade von zu Hause abgehauen, hast noch keinen Macker. Wo gehst du hin?«
    »Da gibt’s nur eins.«
    »Was?«
    »Das Hotel Hell.«
     
    Ausgebrannt und abbruchreif stand das vierstöckige Gebäude abseits vom Hollywood Boulevard. Die Farbe blätterte vom rissigen Beton, und an vielen Stellen war der Putz abgeplatzt.
    Zwar hatte das Haus noch einige kaputte Fenster, aber hauptsächlich starrten leere Löcher aus den bröckelnden Wänden. In dem Maschendrahtzaun, der sich rings um das Grundstück zog, fehlte das Tor. An den Stellen, wo die Maschen aufgeschnitten worden waren, stachen metallische Sporen gefährlich spitz heraus.
    Decker überquerte das Grundstück, einen Dschungel aus hohen, verwilderten Pflanzen, und betrat das türenlose Gebäude. Die Eingangshalle war mit rissigem Linoleum ausgelegt, das so verdreckt war, daß Decker mit den Schuhsohlen kleben blieb. Es war dunkel und feucht, es stank nach Urin, Kot und Erbrochenem. Er wartete, bis sich seine Augen auf die neue Umgebung eingestellt hatten. Das Mondlicht, das durch die leeren Fensterrahmen hereinfiel, verwandelte den Fußboden in ein Schachbrett. Als Decker den langen Korridor hinunter sah, machte er huschende Gestalten und Schatten aus – lebende Schachfiguren. In Mülltonnen brannten flackernde Feuer.
    Eine Ratte tanzte vor seinen Füßen herum. Als Decker ihr auswich, stolperte er über ein weiches Bündel. Er leuchtete mit der Taschenlampe nach unten und sah ein Mädchen, das zusammengekauert wie ein Embryo vor ihm lag. Ein winselnder Köter hockte zu ihren Füßen. Decker stupste sie sacht in die Seite, aber sie rührte sich nicht. Als er sich bückte und sie umdrehte, fielen ihre Arme haltlos zur Seite. Ihre Haut war weiß und kalt. Sie hatte keinen Puls.
    »Großer Gott«, flüsterte er.
    Er konnte nichts mehr für sie tun. Um die Leiche würde er sich später kümmern. Er richtete sich auf und ging den Korridor hinunter.
    Leere Augen, ausdruckslose Blicke, in Lumpen gehüllte, lebende Kadaver, gedämpfte Nagetiergeräusche. Die meisten der Zombies versuchten sich zu wärmen, indem sie die Hände, die in fingerlosen Handschuhen steckten, aneinanderrieben.
    Manche kauerten in Ecken, wiegten sich hin und her und summten traurige Melodien vor sich hin. Andere wälzten sich unruhig im Schlaf. Als er an den Jugendlichen vorbeiging, verstummten die Hintergrundgeräusche. Ein Fremder. Bestimmt kam er in übler Absicht und führte irgendeine Gemeinheit im Schilde.
    Im ersten Stock stieß er auf ein verlorenes Grüppchen, das sich um einen Haufen brennender Zeitungen scharte. Vorsichtig, wie auf ein verwundetes Tier, ging er auf sie zu. Als er sie erreicht hatte, leuchtete er mit der Taschenlampe das Bild von Lindsey Bates an.
    Der Reihe nach sahen sie sich das Foto an, aber die Antwort war bei allen die gleiche: ausdruckslose Blicke und stummes Kopfschütteln. Decker wanderte zur nächsten Gruppe weiter, doch auch dort hatte er nicht mehr Erfolg.
    Langsam durchkämmte er das ganze Gebäude, obwohl es ihn mehr als einmal wegen der Müllberge in der Kehle würgte. Die Kids sahen sich das Bild an, wollten helfen, ein paar lächelten sogar, aber das Ergebnis war überall das gleiche. Lindsey war im Hotel Hell eine Unbekannte.
    Es wurde kälter, und der Gestank wurde immer schlimmer, als der Abendwind abflaute und nur noch stehende, kalte Luft in den Räumen hing. Aber die Geräusche kamen wieder, als sich herumsprach, daß der Fremde nur ein Foto herumzeigte. Einige sprachen ihn von sich aus an, weil sie sich das Bild ansehen wollten. »Nie gesehen, Alter.« Es wurde immer lauter – Gegacker, Geschrei, Gewürge,

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