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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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doch. Es kostet mich viel Freizeit, deshalb kann ich nicht so oft an die Arbeit denken. Es beschäftigt mich.«
    »Beten Sie auch?«
    »Aus eigenem Antrieb?«
    »Ja«, sagte Schulman. »Haben Sie manchmal das Bedürfnis, T’hillim zu sprechen?«
    »Kann ich nicht behaupten. Es wäre gewiß schön, wenn Gott für alles einen Grund hätte, aber im Grunde glaube ich nicht daran. Die Bösen ziehen so oft das große Los, und die Guten immer wieder den Schwarzen Peter. Was soll das für einen Sinn haben?«
    »Eine schwierige Frage, auf die ich keine zufriedenstellende Antwort weiß. Es ist uns nicht erlaubt, den Sinn zu wissen. Es wäre keine Prüfung des Glaubens, wenn uns der Sinn bekannt wäre. Denn dann wüßten wir sicher, daß Haschem existiert. Selbst Mosche Rabe’jnu, dem es erlaubt war, alles andere zu verstehen, durfte nicht wissen, nach welchem System Hakadosch-baruch-hu Lob und Tadel verteilt.«
    »Nun, vielleicht muß man ein Moses sein, um mit solcher Ambiguität leben zu können«, sagte Decker. »Ich hingegen sehe so viele Ungerechtigkeiten. Unser Rechtssystem ist eine Farce, Rabbi. Geständige Mörder kommen wegen eines Verfahrensfehlers ungestraft davon. Wenn es wenigstens eine göttliche Vergeltung gäbe, wenn ihnen ein Meteorit auf den Kopf krachte oder sie vom Blitz erschlagen würden, dann könnte ich vielleicht eher einen Sinn darin erkennen.«
    »Ich will Ihnen einen Midrasch erzählen.« Schulman überlegte eine Weile, dann sagte er: »Eine Gruppe von vier Rabbinern – Rabbi Akiva, Rabbi Ben Soma, Rabbi Ben Assai und Rabbi Elischa Ben Awuja – ging in einen Garten, um die verborgenen Stellen der Tora zu studieren. Alle vier waren sehr fromme, kluge Männer, herausragende Gelehrte – eine unabdingbare Voraussetzung für das Studium des jüdischen Mystizismus.«
    »Okay«, sagte Decker.
    »Nun lautet das Wort, das in der G’mara für Garten benutzt wird, Pardes – Hain. Manche haben es mit dem Gan-eden gleichgesetzt – dem Garten Eden, dem Paradies.«
    »Die Rabbis waren tatsächlich im Paradies?«
    »Das ist umstritten. Was sie jedenfalls taten, war folgendes: Sie sprachen den Namen des unaussprechlichen Haschems aus – das Tetragrammaton. Raschi vertritt die Ansicht, daß das Aussprechen des Namens sie tatsächlich mit der Sch’china – der Gegenwart Gottes – in Kontakt gebracht hat. Andere Deutungen gehen davon aus, daß sie nicht wirklich im Himmel waren, sondern daß es ihnen durch das Aussprechen des Namens nur so vorkam. Klar?«
    Decker bejahte.
    »Vier unserer größten Rabbiner in der Gegenwart Haschems«, sagte Schulman. »Nun denn, wie ist es ihnen ergangen?«
    Seine Stimme war zu einem Singsang geworden.
    »Ben Assai starb. Er stürzte auf die Sch’china zu, und seine Seele verließ seinen Körper. Ben Soma näherte sich der Sch’china ebenfalls, doch er starb nicht. Sein Geist verwirrte sich, er wurde wahnsinnig. Welche Frage ergibt sich nun logisch daraus, Peter?«
    »Warum ist der eine wahnsinnig geworden und der andere gestorben?«
    »Gut. Ben Assai hatte die Sch’china gesehen und konnte nicht mehr zum Körperlichen zurückfinden. Er hatte eine so hohe Ebene spirituellen Verstehens erreicht, daß seine Seele keines Körpers mehr bedurfte. Ben Soma dagegen erreichte diese Ebene nicht. Auf ihn drang so viel Wissen ein, daß er es nicht mehr verarbeiten konnte. Ein überforderter Geist verwirrt sich.
    Der dritte Rabbi, Elischa Ben Awuja, ›schnitt‹, so erzählt es uns die G’mara, ›die Schößlinge im Garten ab‹. Was meinen Sie wohl, was das bedeutet?«
    »Der Garten ist ein Symbol für den Himmel?« fragte Decker.
    »Für einen himmlischen Zustand.«
    Decker dachte nach. »Er hat den Himmel zerstört.«
    »Und das heißt?«
    »Er hat Haschem zerstört.«
    »Und das heißt?«
    Decker überlegte einen Augenblick.
    »Man kann Haschem nicht zerstören«, sagte er. »Aber man kann ihn ablehnen.«
    »Genau«, sagte der alte Mann. »Wenn man etwas ablehnt, hat man es für sich selbst zerstört. Ben Awuja wurde ein Epikureer, ein Ungläubiger, ein Abtrünniger. Warum? In manchen Auslegungen wird es so gedeutet, daß er, von der hellenistischen Philosophie verblendet, den Pardes mit einem dualistischen, gnostischen Konzept verlassen hat – mit der Vorstellung, daß es zwei Götter im Universum gibt. Im Zentrum des jüdischen Glaubens steht aber die Vorstellung, daß es nur einen Haschem gibt.«
    Decker nickte.
    »Andere sagen, Awuja sei zusammengebrochen, weil er den

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