Das Hohelied des Todes
eine Glocke. Das Geschäft war leer, aber eine Stimme aus dem Hinterzimmer ließ ihn wissen, daß gleich jemand käme. Decker sagte okay und setzte sich auf eine Couch. Auf dem Tischchen vor ihm lagen ein paar Mustermappen mit Fotos. Decker nahm sich eine vom Tisch. Noch mehr Bräute, Bräutigame, Bar-Mizwa-Jungen und ehrbare Familien.
Rastlos stand er wieder auf und lief im Laden hin und her, bis sein Blick schließlich an einer Korkpinnwand hängenblieb, an die zahlreiche Visitenkarten geheftet waren. Ein Babysitterservice, zwielichtige Anwälte, die mit niedrigen Honoraren warben (se habla español), Steuerberater, Innenarchitekten und ein staatlich geprüfter Ehe- und Familientherapeut boten ihre Dienste an. Decker brauchte nur an die Eheberatungssitzungen mit Jan zurückzudenken, um zu wissen, was davon zu halten war. Eine Karte stach ihm besonders ins Auge. Der Nachname war der gleiche wie der des Fotostudiobesitzers. Dustin Pode, Vizepräsident, Executive First Brokerage House, Member SPIC, Ihr zuverlässiger Wechselmakler: Anlagen, Steuerparadiese, Immobilien, Renten- und Pensionsfonds.
Decker steckte die Karte ein. Kurz darauf kam ein Mann aus dem Hinterzimmer. Er wirkte älter als zweiundfünfzig, ging gebückt und hatte einen Kranz aus borstigen, schwarzen Haaren mit stahlgrauen Strähnen, der eine kahle Stelle umrahmte, sowie einen Schnurrbart. Außerdem hatte er Übergewicht, Hängebacken und dünne Lippen.
»Was kann ich für Sie tun, Sir?«
»Polizei«, sagte Decker und zückte seine Marke.
Pode lächelte herablassend.
»Womit kann ich Ihnen dienen, Sergeant?« fragte er.
»Erzählen Sie mir etwas über Erotic Ecstasy«, sagte Decker.
Pode lächelte weiter.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
Decker legte das Bild von der Gräfin auf die Theke.
»Das ist doch Ihre Arbeit. Sollen wir sie ins Fenster hängen, neben die Konfirmandin?«
»Diese Frau habe ich noch nie im Leben gesehen«, sagte der Fotograf.
»Kommen Sie mir bloß nicht auf die Tour, Pode.«
»Schon gut, schon gut.«
Er ging zur Tür, drehte das Geöffnet-Schild herum und schloß ab. Für einen so schweren Mann bewegte er sich erstaunlich flink.
»Ich hatte Spielschulden, deshalb mußte ich mir was nebenher verdienen. Mir stand das Wasser bis zum Hals. Aber eines dürfen Sie mir glauben. Es war nichts Ungesetzliches dabei. Die Häschen, die ich geknipst habe, waren alle über achtzehn, also können Sie mir nichts vorwerfen – höchstens schlechten Geschmack. Ich bin nicht stolz darauf, aber wenigstens konnte ich mich so über Wasser halten, und schließlich müssen wir ja alle irgendwie leben.«
»Wer ist die Kleine?« fragte Decker, auf die Gräfin tippend.
»Keine Ahnung. Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, sie fotografiert zu haben.«
»Wie kann man denn so ein Gebiß vergessen?«
»Ich sage Ihnen doch, ich kenne sie nicht.«
Der Schweinehund hatte etwas zu verbergen. Decker zeigte ihm das Foto von Lindsey Bates.
»Und was ist mit der hier?« fragte er.
Pode sah sich das Foto kaum an. Decker glaubte, ein kurzes Aufflackern in seinen klugen Augen entdeckt zu haben, aber es war so schnell wieder verschwunden, daß er sich nicht sicher war.
»Nein. Absolut nicht!« Pode schüttelte heftig den Kopf. »Das Kind ist doch keinen Tag älter als sechzehn, und wie ich Ihnen schon gesagt habe, halte ich mich an die Gesetze.«
»Schon gut, Pode. Sie sind ein braver Bürger.« Decker hielt ihm das Foto unter die Nase. »Sehen Sie es sich noch einmal an.«
»Ich kenne sie nicht«, wiederholte Pode.
»Wer handelt mit Teenyfotos?« hakte Decker nach.
»Ich weiß nicht.«
»Ich werde langsam sauer, Cecil«, sagte Decker.
Pode fing an zu keuchen.
»Probieren Sie es mal bei einem Zuhälter. Johnson heißt er – Wilmington Johnson. Der steht auf junge Mädchen.«
»Noch jemand?«
»Sonst fällt mir keiner ein.«
Pode hatte Clementine nicht erwähnt, ein sicheres Zeichen dafür, daß der die große Nummer war. Bei Johnson würde Decker bloß seine Zeit verschwenden.
»Wo kann man diesen Johnson finden?«
»In Hollywood natürlich.«
»Wo genau in Hollywood, Pode?«
»Im Golden Dreams Motel. Sunset, kurz vor der Highland. Er liest Ausreißerinnen und andere junge Dinger auf und schickt sie auf den Strich.«
»Und fotografiert er sie auch?«
»Kann schon sein«, sagte Pode. Sein Schnurrbart zitterte.
»Wie geht es eigentlich Ihrem Sohn?«
Die Frage verwirrte ihn.
»Welchem?«
»Dustin. Wie macht er
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