Das Hohelied des Todes
und ich würde Ihnen nicht empfehlen, Ihre gesamten Ersparnisse darin zu investieren. Aber was die Profite angeht, gibt es keine Grenzen.«
»Klingt ganz nach der Art von Geschäft, die ich im Sinn hatte«, sagte Decker schmunzelnd. »Ein paar Dollar und dafür jede Menge Nervenkitzel.«
Die Eingangstür sprang auf und ein junger Mann kam herein. Er stürmte an Smithsons Schreibtisch, ohne Decker überhaupt richtig wahrzunehmen.
»Wo bleiben Cumberlaines Zertifikate?« fuhr er Smithson an.
Der ältere Mann wurde rot im Gesicht und senkte die Stimme.
»Die Sicherheiten werden zur Zeit noch bestellt, Cameron. Der Auftrag wurde doch erst vor ein paar Wochen erteilt.«
»Der Kerl will seine Zertifikate«, schnauzte Cameron. »Ich habe ihm versprochen, daß er sie haben kann.« Er lief aufgeregt hin und her. »Der Mann ist schließlich kein kleiner Fisch, Harry, der spielt mit hohen Einsätzen. Jemand, der endlich mal ein bißchen Klasse in diesen Laden bringen kann, vom Geld ganz zu schweigen. Der Mann hat Verbindungen!«
Smithson räusperte sich und wandte sich Decker zu. »Darf ich vorstellen? Mein Sohn, Vizepräsident von Executive First«, sagte er. »Cameron Smithson. Mr. Cohen, ein potentieller Anleger.«
»Tag«, sagte Cameron und gab Decker die Hand. »Ich bin gleich wieder weg, ich will nicht lange stören.«
Decker sah sich Smithsons Sohn an. Er war zwar nicht besonders klein, machte aber trotzdem einen eher schmächtigen Eindruck. Er hatte einen babyglatten, fast durchscheinenden Teint und einen Schatten von Pfirsichflaum auf der rosa Oberlippe. Seine dünnen, blonden Haare waren sorgsam über eine kahle Stelle auf dem Kopf gekämmt. Er hatte wäßrig blaue Augen und eine schmale Nase mit erstaunlich weiten Nasenlöchern. Sein blauer Kaschmirblazer war maßgeschneidert, und die anthrazitgraue Hose hatte messerscharfe Bügelfalten. Zu einem weißen Baumwollhemd, dessen Kragen mit einer goldenen Nadel zusammengesteckt war, trug er einen roten Seidenschlips. Der junge Mann hatte schlanke, schwielenlose Hände mit manikürten, farblos lackierten Fingernägeln.
Kein Mensch, der sich gern die Hände dreckig macht.
Cameron funkelte seinen Vater an. »Ich brauche die Zertifikate, Harry.«
»Da komme ich jetzt nicht ran«, sagte Smithson verlegen. »Ich kann schließlich nicht hexen, Cam.«
»Und was soll ich Cumberlaine erzählen?« Mit einem Mal änderte sich sein Gesichtsausdruck. »Ach, ist schon gut. Ich lasse mir was einfallen. Zur Not schieben wir es auf das Börsenaufsichtsamt oder, noch besser, auf die Post.«
Er stürmte zur Tür hinaus. In dem Büro wurde es so erdrückend still wie nach dem Abzug eines Tornados. Smithson räusperte sich.
»Sie müssen Cameron entschuldigen«, sagte er betreten. »Er gerät leicht ein bißchen außer sich, wenn er ein Versprechen nicht halten kann. Er nimmt seine Arbeit sehr ernst.«
Decker nickte. Offenbar sprang Smithson nicht zum ersten Mal für seinen Sohn in die Bresche.
»Mr. Pode wird sich bei Ihnen melden«, fuhr Smithson fort, um seine Verlegenheit zu überspielen.
»Das wäre schön.«
»Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen, Mr. Cohen.«
»Das konnten Sie«, antwortete Decker. »Es hat sich gelohnt, daß ich vorbeigekommen bin.«
Die beiden Männer standen auf. Smithson gab ihm die Hand, Decker schlug ein.
Vor dem Golden Dreams Motel herrschte mehr Betrieb als drinnen. Der Besitzer, ein Armenier mittleren Alters, beklagte sich aufgebracht bei Decker, daß die Prostituierten und Zuhälter alle seine anständigen Gäste vertrieben hätten. Decker hörte ihm nur mit halbem Ohr zu, und als der Mann endlich eine Pause machte, um Luft zu holen, brachte er rasch seine Frage an. Welcher von dem Dutzend Zuhältern da draußen war Wilmington Johnson? Der Besitzer zeigte auf einen großen, mageren Schwarzen mit Afrolook, der eine lila Stretchhose, ein Goldlaméhemd mit V-Ausschnitt und eine schwarze Samtjacke trug. Um seinen Hals hingen dicke Goldketten und an seinen Armen zwei fünfzehn- oder sechzehnjährige weiße Mädchen. Der Mann hatte es zu etwas gebracht.
Decker ging hinüber und befahl den Mädchen, sich zu verziehen.
»Was glaubst du, wer du bist, Bleichgesicht?« sagte Johnson, stur geradeaus starrend.
»Sie sind Johnson?« fragte Decker.
Der Schwarze drehte sich um und musterte ihn abschätzend von oben bis unten.
»Kommt immer drauf an, was du von mir willst, Alter.«
»Ach so«, sagte Decker zaghaft. Dann wirbelte er herum
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