Das Hotel (German Edition)
bat zu Tisch. Bis Leonora in dem hochlehnigen Sessel an einer Schmalseite des Tisches Platz genommen und man sich über die restliche Sitzordnung verständigt hatte, war auch Herr Schmidt wieder aufgetaucht. In einem hellblauen Polohemd und schwarzen Jeans wirkte er nicht mehr ganz so voluminös, aber man sah seiner Figur an, dass er beileibe kein Kostverächter war.
Veronika als Hausherrin gab die gekühlte Suppe aus einer Porzellanterrine in die Teller auf. «Kartoffelsupp», stellte Herr Schmidt fest, kaum, dass er gekostet hatte. «Leut’, dazu gehört Moscht. Momentle …» Er verschwand, um gleich darauf mit einer dunkelgrünen Flasche zurückzukehren. Leonora runzelte die Stirn, schwieg aber, als ihr Neffe ihr einen warnenden Blick zuwarf. «Ich habe schon viel über diese sehr spezielle Sorte Obstwein gehört», sagte Sven Heinemann interessiert. «Kann man ihn mit dem französischen Cidre vergleichen? Oder eher mit der hessischen Variante aus Äpfeln und Speierling?»
«Moscht is Moscht», erwiderte Herr Schmidt, ohne aufzusehen. Großzügig goss er allen von der hellgelben, leicht säuerlich riechenden Flüssigkeit ein. «Probiert emal …» Gespannt beobachtete er, wie alle vorsichtig an ihren Gläsern nippten.
«Ausgesprochen gewöhnungsbedürftig», konstatierte Leonora und schob das Glas energisch von sich weg.
«Interessant», befand Sven Heinemann und schürzte die Lippen, während er den Most konzentriert verkostete. «Was ist da alles drin?»
«Nix, außer Äpfel und Birnen.» Aus Manfred Schmidts Stimme klang offener Stolz. «Das ist absolut naturrein! Manche schwefeln ja die Fässer, aber wir nicht. Er wird in Plastikfässern angesetzt, die nur mit heißem Wasser gereinigt werden, und es kommt nichts hinzu. Der Saft bleibt völlig sich selbst – und den Hefebakterien – überlassen.»
«Das merkt man ihm auch an», bestätigte Leonora mit ätzendem Spott. «Vielleicht würde ihm ein bisschen Pflege guttun? In seinem augenblicklichen Erscheinungszustand ist er nicht gerade eine Offenbarung.»
«Das kommt auf den persönlichen Geschmack an, gnädige Frau», verteidigte Schmidt seinen Most. «An heißen Tagen gibt es für mich nichts Erfrischenderes als einen gespritzten Apfelmost, glauben Sie mir.»
«Nun ja, in meinem Alter bleibt man besser beim Bewährten. Willi, sei so gut und bring mir Champagner. Inzwischen müsste er ja wieder trinkbar sein.» Wortlos, aber gehorsam erhob Willi sich und verschwand in der Küche. Veronika beobachtete sein Verschwinden etwas besorgt, denn Mascha hasste es, beim Kochen gestört zu werden.
«Und was ist Ihre Meinung dazu?», fragte Sven Heinemann Veronika und lenkte mit seiner Frage die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie. «Würden Sie Vichysoisse und Most ebenfalls als eine empfehlenswerte Kombination ansehen?»
«Jedenfalls schmeckt er angenehm leicht», antwortete sie diplomatisch und horchte auf die Geräusche aus der Küche.
«Keine Angst, Willi ist den Umgang mit Köchen gewöhnt», sagte Heinemann leise und lächelte sie beruhigend über sein Glas hinweg an. «Herr Schmidt, Ihr Apfelmost, haben Sie schon konkrete Pläne, was seine Vermarktung betrifft?»
Manfred Schmidt grinste verschmitzt. «Ha noi – i hab mir halt denkt –, ich habe mir gedacht, ihn auf der Messe zur Probe auszuschenken. Ein gutes Produkt findet schon seine Abnehmer. Immerhin geht der Most ja absolut in Richtung Öko, und was Öko ist, das verkauft sich derzeit wie geschnitten Brot.»
«Und dazu kann man noch die regionale Karte einsetzen», meinte Heinemann anerkennend nickend. «Ich könnte mir gut vorstellen, Ihren Most in mein Angebot aufzunehmen.»
«Ehrlich?» Schmidt wirkte fast überrumpelt. «Haidenai, hätt ich des geahnt, dann hätt ich mir ja des ganze Gesums mit der Messe spare kenna!» Vor lauter Aufregung war er wieder in seinen breiten Dialekt verfallen, den er so mühsam im Zaum hielt.
Mascha und Willi unterbrachen das sich anbahnende Geschäftsgespräch. Mascha, adrett in weißer Schürze, die Haare unter einem entsprechenden Häubchen hochgesteckt, trug die Silberplatte, auf der das Bœuf Stroganoff angerichtet war, mit der Würde einer Hohepriesterin. Willi folgte ihr auf dem Fuß, die Platten mit den Beilagen balancierend.
Bereits im Vorfeld hatten Veronika und Mascha den Wein dazu ausgesucht, einen von Erwins französischen Rotweinen. Nun warteten sie gespannt auf das Urteil des Fachmanns. Sven Heinemann goss sich einen Fingerbreit ein, ließ
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