Das Hotel (German Edition)
Veronika komplizenhaft zu, wandte sich um und marschierte an ihr vorbei, ohne sich umzusehen.
«Entschuldigung, Tante Leo ist manchmal etwas direkt», meinte der bullige Mann und lächelte. Wenn er lächelte, wirkte er auf einmal gar nicht mehr so einschüchternd, wie er ihr zuerst erschienen war. «Würden Sie sie schon mal auf ihr Zimmer begleiten? Wir kommen sofort mit den Koffern nach. Ich will nur rasch das Auto parken. Ist der Platz neben der Garage okay?»
Veronika nickte und beeilte sich, der alten Dame zu folgen. Tante Leo hatte sich bereits die halbe Treppe hochgekämpft. Ihr steifes Bein hinter sich herziehend, meisterte sie entschlossen Stufe für Stufe. Veronikas Hilfsangebot lehnte sie ab, und so blieb der nichts anderes übrig, als höflich abzuwarten. Oben angekommen, gab die Dame ein herzhaftes Schnaufen von sich und sah sich ungeniert um. «Sie haben einen exzellenten Geschmack, meine Liebe», gestand sie Veronika eine Spur herablassend zu. «Für heutige Verhältnisse jedenfalls.»
«Danke», murmelte Veronika pflichtschuldigst und unterdrückte den leisen Ärger, der in ihr aufstieg. Was bildete diese überspannte Alte sich eigentlich ein? Die humpelte bereits auf die übrigen offenstehenden Türen zu, um die dahinterliegenden Zimmer kritisch zu inspizieren.
«Chinesisch, hm», hörte Veronika sie sagen. «Na ja, wer’s mag …» Das Zimmer der zerfließenden Uhren kommentierte sie mit: «Also da kommt mein lieber Neffe hinein! Dem tut eine Erinnerung an die Zeit ganz gut. Und der gute Willi in diesen Pseudodschungel. Haben Sie zufällig auch noch Plüschtiere da? Er hat ein ausgesprochen kindliches Gemüt.»
«Tut mir leid, das Rousseau-Zimmer ist bereits vergeben.» Es bereitete Veronika ein stilles Vergnügen, der herrischen Dame in die Parade fahren zu können. «Ihr Mitreisender wird sich mit dem chinesischen Zimmer begnügen müssen.»
Leonora nahm es mit einem Schulterzucken hin. «Willi ist sehr anpassungsfähig. Ich habe Durst. Können Sie mir bitte eine Flasche Champagner aufs Zimmer schicken lassen?»
Veronika erschrak. Erwin hatte ihnen zwar einen exzellent bestückten Weinkeller hinterlassen, aber Champagner war nicht unter den Kostbarkeiten. Und er war zu teuer, um ihn auf Vorrat anzuschaffen. Mascha hatte die Preise studiert und dann entschieden, dass sie Champagner nur auf speziellen Wunsch besorgen würden. «Tut mir leid», stammelte Veronika peinlich berührt. «Der Champagner ist noch nicht nachgeliefert worden. Darf es stattdessen auch ein Riesling-Sekt sein?»
Die Blicke der alten Dame aus scharfen schwarzen Augen bohrten sich in Veronikas verunsicherte blaue. «Sie sind etwas knapp bei Kasse? Das sollten Sie sich aber unter keinen Umständen anmerken lassen, meine Liebe! Sie brauchen nicht so erschreckt dreinzuschauen: Ein paar Flaschen unserer Hausmarke haben wir immer dabei. Lassen Sie sich von Willi eine geben und schicken Sie sie mir in einem Sektkühler nach oben. Mit Gläsern natürlich.»
«Du schikanierst doch nicht etwa schon unsere Gastgeberin?», fragte ihr Neffe Sven tadelnd von der Treppe her, wo er sich mit einem unhandlichen, altmodischen Ungetüm von Koffer abmühte. «Willi bringt dir deinen Champagner, Tante Leo, sobald er sich ein bisschen beruhigt hat. Ziemlich durchgeschüttelt von der Fahrt», fügte er erklärend an Veronika gewandt hinzu. «Wenn man ihn nicht erst etwas zur Ruhe kommen lässt, schäumt er nur wie verrückt. Wäre schade um den Veuve Cliquot.»
Ächzend stellte er den Koffer ab und sah sich anerkennend um. «Nicht schlecht. Um nicht zu sagen, großartig! Wenn das Essen so wunderbar ist wie das Ambiente …»
«Ich hoffe, dass es Ihren Ansprüchen genügen wird. Wir haben eine russische Köchin, die allerdings auch internationale Erfahrung aufzuweisen hat», verkündete Veronika, Maschas Ehejahre in Deutschland kühn zur internationalen Erfahrung hochstilisierend. «Für heute Abend hat sie eine leichte Vichysoisse vorbereitet, Bœuf Stroganoff als Hauptgericht und zum Dessert eine Russische Creme.»
«Wir freuen uns bereits darauf», gab Sven Heinemann höflich zurück. «Um neunzehn Uhr, wenn ich mich recht erinnere?»
«Ich kann nicht für jeden unserer Gäste extra kochen», hatte Mascha klargestellt, als sie darüber gesprochen hatten, wie sie es mit der Verköstigung halten sollten. «Frühstücken kann jeder, wann er will, aber nicht abends! Abendessen gibt es für alle um sieben. Basta!»
«Richtig»,
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