Das Hotel New Hampshire
würde sagen: »Gestern abend ist noch jemand gekommen, der den letzten Tanz mitmachen wollte, aber er war zu spät dran. Jetzt wartet er auf euch, unten in der Eingangshalle.«
Ich fand die Idee phantastisch, aber dann dachte ich - schließlich hatte ich einiges getrunken -, daß ich wohl Franny aufwecken und ihr den Mann in der weißen Smokingjacke zeigen sollte, der friedlich eingepennt auf der Couch lag; Franny würde mir schon sagen, ob sie die Idee schlecht fand. Aber ihr würde das gefallen, da war ich sicher.
Ich ordnete die schwarze Schleife des Mannes in der weißen Smokingjacke und faltete ihm die Hände über der Brust; ich machte den Knopf an seiner Jacke zu und zupfte seinen Kummerbund zurecht, damit er keinen schlampigen Eindruck machte. Das einzige, was fehlte, waren die Sonnenbräune und das schwarze Zigarettenetui - und die weiße Schaluppe draußen vor dem Arbuthnot-by-the-Sea.
Das war nicht das Geräusch des Meeres, draußen vor dem Hotel New Hampshire; es war das Geräusch des Matsches im Elliot Park, der gefror und taute und wieder gefror; und das waren keine Möwen, die ich hörte, sondern Hunde - streunende Hunde, die den Müll durchwühlten, den es überall gab. Erst als ich den Mann in der weißen Smokingjacke auf die Couch bettete, fiel mir auf, wie schäbig unsere Eingangshalle aussah - wie sehr sich in dem Gebäude die Atmosphäre einer reinen Mädchenschule erhalten hatte: das Ausgestoßensein, die Angst davor, als (sexuell) zweitrangig eingestuft zu werden, die überstürzten Ehen und andere Enttäuschungen, die die Zukunft bereithielt. Der beinahe elegante Mann in der weißen Smokingjacke sah - im Hotel New Hampshire - aus wie ein Wesen von einem anderen Planeten, und ich wollte plötzlich nicht mehr, daß mein Vater ihn sah.
Ich lief ins Restaurant, um kaltes Wasser zu holen; Doris Wales hatte an der Bar ein Glas zerbrochen, und Ronda Rays sonderbar geschlechtslose Arbeitsschuhe lagen ausgelatscht unter einem Tisch, wohin sie Ronda wohl geschleudert hatte - als sie anfing zu tanzen und sich an Junior Jones ranzumachen.
Wenn ich Franny weckte - ging es mir durch den Kopf -, könnte sie vielleicht mitbekommen, daß Junior mit Ronda zusammen war, und würde ihr das nicht weh tun?
Ich horchte ins Treppenhaus und spürte, wie mein Interesse an Bitty Tuck plötzlich wiedererwachte - die Vorstellung, sie schlafend vor mir zu sehen -, aber als ich sie an der Sprechanlage belauschte, schnarchte sie (mit einem satten Grunzen, wie ein Schwein, das sich im Schlamm suhlt). Das Buch für die Vorbestellungen enthielt nicht einen einzigen Namen; es war nichts eingetragen bis zum Sommer, wenn dann der Zirkus namens Fritzens Nummer kommen und uns alle (zweifellos) erbleichen lassen würde. Die Wechselgeldkasse am Empfangsschalter war nicht mal verschlossen - und Frank hatte irgendwann, als er sich während des Telefondienstes langweilte, das spitze Ende des Flaschenöffners dazu benutzt, seinen Namen in die Armlehne des Stuhls zu graben.
In dem grauen, von der Party zurückgebliebenen Mief am Neujahrstag schien es mir mittlerweile besser, meinem Vater den Anblick des Mannes in der weißen Smokingjacke zu ersparen. Ich dachte mir, wenn ich den Mann wachkriegte, könnte ich ihn von Junior Jones verscheuchen lassen; aber es wäre mir peinlich gewesen, Junior bei Ronda Ray zu stören.
»He, aufstehen!« zischte ich den Mann in der weißen Smokingjacke an.
»Schnorf!« rief er im Schlaf. »Äck! Eine Nutte!«
»Seien Sie still!« fuhr ich ihn flüsternd an.
»Gick?« sagte er. Ich packte ihn um die Brust und drückte zu. »Faah!« stöhnte er. »Himmel hilf!«
»Ihnen fehlt nichts«, sagte ich. »Aber Sie müssen jetzt gehen.«
Er öffnete die Augen und setzte sich auf.
»Ein junger Halsabschneider«, sagte er. »Wo haben sie mich hingeschleppt?«
»Sie sind umgekippt, draußen«, sagte ich. »Ich habe Sie hereingebracht, damit Sie nicht erfrieren. Und jetzt müssen Sie gehen.«
»Ich muß erst die Toilette aufsuchen«, sagte er, mit Würde.
»Machen Sie's draußen«, sagte ich. »Können Sie gehen?«
»Natürlich kann ich gehen«, sagte er. Er ging auf den Lieferanteneingang zu, blieb aber auf der Schwelle stehen. »Es ist dunkel da draußen«, sagte er. »Das ist doch eine Falle, oder? Wie viele sind es - da draußen?«
Ich ging mit ihm durch die Eingangshalle zur vorderen Tür und schaltete die Außenbeleuchtung ein. Ich fürchte, das Licht war schuld daran, daß Vater aufwachte.
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