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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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»Leben Sie wohl«, sagte ich zu dem Mann in der weißen Smokingjacke, »und ein Glückliches Neues Jahr.«
    »Aber das ist ja der Elliot Park«, rief er entrüstet.
    »Stimmt«, sagte ich.
    »Dann bin ich ja in dem komischen Hotel«, folgerte er.
    »Wenn das ein Hotel ist, möchte ich jetzt ein Zimmer haben.«
    Ich hielt es für das Beste, ihm nicht zu sagen, daß er kein Geld bei sich hatte, und so sagte ich statt dessen: »Wir sind voll. Alle Zimmer sind belegt.«
    Der Mann in der weißen Smokingjacke starrte in die verlassene Eingangshalle, glotzte auf die leeren Postfächer und den liegengebliebenen Überseekoffer mit Junior Jones' Wintersachen, der am Fuß der schäbigen Treppe lag. »Sie sind voll?« sagte er, als sei ihm eben eine allgemeine Lebensweisheit erstmals aufgegangen. »Heiliger Strohsack«, sagte er. »Ich hatte gehört, der Laden mache Pleite.« Es war nicht gerade das, was ich hören wollte.
    Ich bugsierte ihn wieder zum Haupteingang, aber er bückte sich und hob die Post auf und gab sie mir; in der Hetze der Party-Vorbereitungen hatte den ganzen Tag lang keiner nach der Post geschaut, die immer durch einen Schlitz in der vorderen Tür geworfen wurde, keiner hatte die Post aufgehoben.
    Der Mann ging nur ein paar Schritte vom Haus weg und kam dann zurück.
    »Ich will ein Taxi anrufen«, teilte er mir mit. »Es gibt zuviel Gewalttätigkeit da draußen«, sagte er mit einer Geste, die wieder dem Leben im allgemeinen galt; den Elliot Park konnte er nicht gemeint haben - jedenfalls nicht im Moment, denn Doris Wales war längst weg.
    »Sie haben nicht genug Geld für ein Taxi«, ließ ich ihn wissen.
    »Oh«, sagte der Mann in der weißen Smokingjacke. Er setzte sich in der kalten nebligen Luft auf die Stufen am Eingang. »Augenblick noch«, sagte er.
    »Wozu?« fragte ich ihn.
    »Muß mich erst erinnern, wo ich hingehe«, sagte er.
    »Nach Hause?« schlug ich vor, aber der Mann fuhr mit der Hand durch die Luft.
    Er dachte nach. Ich schaute mir die Post an. Die üblichen Rechnungen, das übliche Fehlen von Briefen, in denen Unbekannte wegen Zimmern nachfragten. Und ein Brief, der sich von den anderen abhob. Er war mit hübschen ausländischen Briefmarken beklebt; Österreich stand da drauf - und noch ein paar exotische Dinge. Der Brief kam aus Wien, und er war auf höchst merkwürdige Art an meinen Vater adressiert:
     
Win Berry
    Harvard-Absolvent
    Abschlußklasse 194?
    U.S.A.
     
    Der Brief hatte lange gebraucht, bis er zu meinem Vater kam, aber bei der Post hatten sie einen gefunden, der wußte, wo Harvard war. Mein Vater sagte später, daß er diesen Brief bekommen habe, sei das greifbarste Ergebnis, das ihm sein Harvard-Studium je gebracht habe; hätte er eine weniger bekannte Universität besucht, wäre ihm der Brief nie zugestellt worden. »Grund genug«, sagte Franny später, »zu wünschen, er hätte eine weniger bekannte Universität besucht.«
    Aber die Organisation der ehemaligen Harvard-Studenten ist natürlich tüchtig und weit verzweigt. Mit dem Namen meines Vaters und der »Abschlußklasse 194?« hatten sie alles, was sie brauchten, um die richtige Abschlußklasse, 1946, und die richtige Anschrift herauszufinden.
    »Was ist denn los?« hörte ich meinen Vater rufen; er war aus den von uns bewohnten Räumen im ersten Stock getreten und rief vom Treppenabsatz zu mir herunter.
    »Nichts!« sagte ich und stieß den Betrunkenen auf den Stufen vor mir mit dem Fuß an, denn er war wieder am Einschlafen.
    »Warum ist die Außenbeleuchtung an?« wollte Vater wissen.
    »Nun gehen Sie schon!« sagte ich zu dem Mann in der weißen Smokingjacke.
    »Schön, Sie kennenzulernen«, sagte der Mann herzlich. »Dann will ich mich jetzt mal trollen!«
    »Gut, gut«, flüsterte ich.
    Aber der Mann schaffte es nur bis zur untersten Stufe, ehe ihn das Denken wieder zu übermannen schien.
    »Mit wem redest du denn?« rief Vater.
    »Niemand! Bloß ein Besoffener!« sagte ich.
    »Jessas Gott«, sagte Vater. »Ein Besoffener ist doch nicht niemand!«
    »Ich pack das schon!« rief ich.
    »Warte, bis ich angezogen bin«, sagte Vater. »Jessas Gott.«
    »Nun gehen Sie schon!« brüllte ich den Mann in der weißen Smokingjacke an.
    »Wiedersehen! Wiedersehen!« rief der Mann und winkte mir von der untersten Stufe des Hotels New Hampshire fröhlich zu. »Ich habe mich wunderbar unterhalten!«
    Der Brief war natürlich von Freud. Ich wußte es, und ich wollte erst sehen, was drinstand, bevor ich ihn Vater gab. Ich

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