Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Vater. »Was weißt du denn schon von Wien?«
    »Was wußte ich denn von Motorrädern?« fragte Vater. »Oder von Bären? Oder Hotels?«
    »Und was hast du gelernt?« fragte ihn Mutter, aber mein Vater hatte keine Bedenken. Schließlich hatte Freud gesagt, mit einem schlauen Bären sehe alles anders aus.
    »Ich weiß, Wien ist nicht Dairy, New Hampshire«, sagte Vater zu Mutter; und er entschuldigte sich bei Fritz von Fritzens Nummer - er schrieb ihm, daß er das Hotel New Hampshire zum Verkauf anbiete und daß sich der Zirkus möglicherweise nach einem anderen Quartier umsehen müsse. Ich weiß nicht, ob der Zirkus namens Fritzens Nummer meinem Vater ein gutes Angebot machte, aber es war das erste Angebot, und Vater akzeptierte.
    »Wien?« sagte Junior Jones. »Heiliger Strohsack!«
    Aus Angst, Junior könne ihr fehlen, hätte Franny vielleicht gegen den Umzug protestiert, aber Franny hatte herausgefunden, daß Junior ihr (mit Ronda Ray in der Silvesternacht) untreu geworden war, und sie zeigte ihm die kalte Schulter.
    »Sag ihr, ich war einfach scharf, Mann«, sagte mir Junior.
    »Er war einfach scharf, Franny«, sagte ich.
    »Offensichtlich«, sagte Franny. »Und du weißt natürlich ganz genau, wie das ist.«
    »Wien«, sagte Ronda Ray, die unter mir seufzte - wahrscheinlich aus Langeweile. »Ich würde gern nach Wien gehen«, sagte sie. »Aber ich muß wohl hierbleiben -vielleicht ohne Job. Oder ich muß für diesen kahlen Zwerg arbeiten.«
    Frederick »Fritz« Worter war dieser kahle Zwerg, eine kleine verwachsene Gestalt, die uns an einem schneereichen Wochenende besuchte; er war besonders beeindruckt von der Größe der Badezimmereinrichtungen im dritten Stock - und von Ronda Ray. Lilly war natürlich von Fritz stark beeindruckt. Er war nur wenig größer als Lilly, wobei wir Lilly (und vor allem uns selbst) einzureden versuchten, sie werde noch - ein bißchen - weiterwachsen, und (so hofften wir) ihre Gliedmaßen würden niemals so unproportioniert sein. Lilly war hübsch - winzig, aber hübsch. Fritz dagegen hatte einen Kopf, der für seinen Rumpf mehrere Nummern zu groß war; seine Unterarme hingen wie schlaffe Wadenmuskeln herab, die obszön den falschen Körperteilen aufgepfropft worden waren; seine Finger waren abgeschnittene Salamiwürste; seine Knöchel über den kleinen Puppenfüßen waren geschwollen - wie Socken mit einem kaputten Gummizug.
    »Was für eine Art von Zirkus haben Sie denn?« fragte ihn Lilly beherzt.
    »Seltsame Nummern, seltsame Tiere«, flüsterte mir Franny ins Ohr, und ich schauderte.
    »Kleine Nummern, kleine Tiere«, murmelte Frank.
    »Wir sind nur ein kleiner Zirkus«, sagte Fritz zu Lilly, und es klang bedeutungsvoll.
    »Das heißt«, sagte Max Urick, als Fritz weg war, »daß sie alle bestens in den verfickten dritten Stock reinpassen.«
    »Wenn alle so sind wie er«, sagte Mrs. Urick, »dann essen sie nicht viel.«
    »Wenn alle so sind wie er«, sagte Ronda Ray und verdrehte die Augen - aber sie redete nicht weiter; sie behielt den Rest lieber für sich.
    »Ich finde ihn niedlich«, sagte Lilly.
    Bei Egg jedoch löste Fritz von Fritzens Nummer Alpträume aus - fürchterliche Schreie, von denen ich einen steifen Rücken und Muskelzerrungen im Genick bekam; Eggs Arm schlug aus und zertrümmerte die Nachttischlampe; seine Beine strampelten unter der Bettdecke, als ertrinke er im Bettzeug.
    »Egg!« rief ich. »Es ist doch nur ein Traum! Du hast bloß einen Traum!«
    »Einen was?« kreischte er.
    »Einen Traum!« brüllte ich.
    »Zwerge!« schrie er. »Sie sind unter dem Bett! Sie kriechen überall herum! Überall sind sie, überall!« heulte er.
    »Jessas Gott«, sagte Vater. »Wenn es nur Zwerge sind, warum regt er sich dann so auf?«
    »Psst«, sagte Mutter, wie immer darauf bedacht, Lillys kleine Gefühle nicht zu verletzen.
    Und ich lag morgens unter der Hantel, von wo ich verstohlen Franny beim Aufstehen und Anziehen beobachten konnte, und dachte an Iowa-Bob. Was hätte er zu dem geplanten Umzug nach Wien gesagt? Oder zu Freuds Hotel, das irgendwie einen schlauen HarvardJungen brauchte? Oder zu der Wahrscheinlichkeit, daß mit einem schlauen Bären tatsächlich alles anders aussah - jedermanns Erfolgsaussichten. Ich stemmte und überlegte. »Es spielt keine Rolle«, hätte Iowa-Bob gesagt. »Ob wir nach Wien gehen oder hierbleiben, spielt keine Rolle.« Unter dem ganzen Gewicht dachte ich: ja, so hätte Coach Bob das gesehen. »Ob hier oder da«, hätte Bob gesagt, »wir

Weitere Kostenlose Bücher