Das Hotel New Hampshire
NACHTS NICHT BENÜTZT. SO GIBT ES KEINE KLAGEN (ODER NUR SELTEN). HA HA! DAS ERDGESCHOSS GEHÖRT UNS, ICH MEINE MIR UND DEM BÄREN - UND DIR UND EUCH ALLEN, WENN IHR KOMMT. WIR HABEN ALSO DEN DRITTEN UND DEN VIERTEN STOCK FÜR DIE GÄSTE, WENN WIR DIE GÄSTE BEKOMMEN. WARUM FRAGST DU? HAST DU EINEN PLAN? DIE PROSTITUIERTEN SAGEN, WIR BRAUCHEN EINEN AUFZUG, ABER DIE SIND EBEN VIEL AUF ACHSE. HA HA! WAS SOLL DAS HEISSEN, WIE ALT BIN ICH? RUND HUNDERT JAHRE! ABER WIR WIENER HABEN EINE BESSERE ANTWORT: »ICH BLEIBE IMMER WEG VON OFFENEN FENSTERN.« EIN ALTER SCHERZ. ES GAB MAL EINEN STRASSENCLOWN, DEN MÄUSEKÖNIG: ER DRESSIERTE NAGETIERE, ER STELLTE HOROSKOPE, ER KONNTE NAPOLEON NACHMACHEN, ER KONNTE HUNDE AUF KOMMANDO FURZEN LASSEN. EINES NACHTS SPRANG ER AUS SEINEM FENSTER, MIT ALLEN SEINEN TIEREN IN EINER KISTE. AUF DER KISTE STAND GESCHRIEBEN: »ERNST IST DAS LEBEN, HEITER IST DIE KUNST!« ICH HABE GEHÖRT, SEINE BEERDIGUNG WAR EIN FEST. EIN STRASSENKÜNSTLER HATTE SICH UMGEBRACHT. KEINER HATTE IHN UNTERSTÜTZT, ABER JETZT VERMISSTEN IHN ALLE. WER WÜRDE VON NUN AN DIE HUNDE MUSIK MACHEN UND DIE MÄUSE JAPSEN LASSEN? DER BÄR WEISS DAS AUCH: ES IST EIN HARTES STÜCK ARBEIT UND EINE GROSSE KUNST, DEM LEBEN ETWAS VON SEINEM ERNST ZU NEHMEN. PROSTITUIERTE WISSEN DAS AUCH.
»Prostituierte?« sagte Mutter. »Was?« sagte Egg. »Huren?« sagte Franny.
»In dem Hotel sind Huren?« fragte Lilly. Na, wenn das alles ist, dachte ich, aber Max Urick schien bei dem Gedanken, dableiben zu müssen, noch mürrischer als sonst; Ronda Ray zuckte mit den Achseln. »Süße Mädels!« sagte Frank.
»Jessas Gott, was soll's«, sagte Vater. »Wenn sie da sind, setzen wir sie einfach raus.« Wo bleibt die alte Zeit
und die Gemütlichkeit?
sang Frank auf deutsch und ging dazu auf und ab. Es war das Lied, das Bratfisch auf dem Fiakerball sang; Bratfisch war Kronprinz Rudolfs Leibfiaker gewesen - ein gefährlich aussehender Wüstling mit einer Peitsche.
Wo bleibt die alte Zeit?
Pfiat di Gott, mein schönes Wien!
sang Frank weiter. Bratfisch hatte das gesungen, nachdem Rudolf erst seine Geliebte ermordet und sich dann eine Kugel in den Kopf gejagt hatte.
TAG!
schrieb Freud.
MACHT EUCH KEINE SORGEN WEGEN DER PROSTITUIERTEN. DIE SIND HIER LEGAL . GESCHÄFT IST GESCHÄFT. DIE LEUTE VON DEN OST-WEST-BEZIEHUNGEN, AUF DIE MUSS MAN AUFPASSEN. IHRE SCHREIBMASCHINEN ÄRGERN DEN BÄREN. SIE BESCHWEREN SICH STÄNDIG, UND SIE BLOCKIEREN DIE TELEFONLEITUNGEN. VERDAMMTE POLITIK, VERDAMMTE INTELLEKTUELLE, VERDAMMTE INTRIGEN.
»Intrigen?« sagte Mutter.
»Ein Sprachproblem«, sagte Vater. »Freud kann unsere Sprache nicht.«
»Nennt mir einen Antisemiten, nach dem ein Platz in der Stadt Wien benannt worden ist«, verlangte Frank. »Nennt mir nur einen.«
»Jessas Gott, Frank«, sagte Vater.
»Nein«, sagte Frank.
»Dr. Karl Lueger«, sagte Mutter, und ihre Stimme klang so dumpf, daß Franny und ich fröstelten.
»Sehr gut«, sagte Frank, sichtlich beeindruckt.
»Wer sagte von Wien, es sei ein großangelegter Versuch, die sexuelle Wirklichkeit zu verstecken?« fragte Mutter.
»Freud?« sagte Frank.
»Unser Freud bestimmt nicht«, sagte Franny.
Aber unser Freud schrieb uns:
GANZ WIEN IST EIN GROSSANGELEGTER VERSUCH, DIE SEXUELLE WIRKLICHKEIT ZU VERSTECKEN. DESHALB IST DIE PROSTITUTION LEGAL. DESHALB GLAUBEN WIR AN BÄREN. ENDE DER DURCHSAGE!
Eines Morgens war ich bei Ronda Ray und dachte mißmutig daran, daß Arthur Schnitzler in vielleicht elf Monaten Jeanette Heger 464mal gefickt hatte, und Ronda Ray fragte mich: »Was meint er damit, daß es ›legal‹ ist - die Prostitution ist legal - was meint er damit?«
»Es ist nicht gegen das Gesetz«, sagte ich. »In Wien ist die Prostitution offenbar nicht gegen das Gesetz.«
Ronda schwieg lange; dann bewegte sie sich unbeholfen unter mir hervor.
»Ist es hier legal?« fragte sie mich; ich sah ihr an, daß sie es ernst meinte - sie sah verängstigt aus.
»Im Hotel New Hampshire ist alles legal!« sagte ich; es war ein Spruch wie von Iowa-Bob.
»Nein, hier!« sagte sie verärgert. »In Amerika. Ist es hier legal?«
»Nein«, sagte ich. »In New Hampshire nicht.«
»Nein?« rief sie. »Ist es gegen das Gesetz? Wirklich?« kreischte sie.
»Schon, aber es passiert trotzdem«, sagte ich.
»Warum?« brüllte Ronda. »Warum ist es gegen das Gesetz?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich.
»Du gehst jetzt besser«, sagte sie. »Und du gehst nach Wien, und mich läßt du hier?«, fügte
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