Das Hotel New Hampshire
ANDERS AUS. NUN KÖNNEN WIR DEM AMERIKANISCHEN PUBLIKUM WAS BIETEN. WENN ES GELINGT, DIE KUNDSCHAFT ZU VERBESSERN, DANN HABEN WIR EIN HOTEL, AUF DAS WIR STOLZ SEIN KÖNNEN. ICH HOFFE, DEIN ENGLISCH IMMER NOCH GUT IST. HA HA! AM BESTEN LERNST DU EIN BISSCHEN DEUTSCH, JA? NICHT VERGESSEN: WUNDER GESCHEHEN NICHT IN EINER NACHT, ABER IN ZWEI NÄCHTEN KÖNNEN SOGAR BÄREN KÖNIGINNEN WERDEN. HA HA! ICH BIN ALT GEWORDEN - DAS WAR DAS PROBLEM. JETZT WIRD ALLES OKAY. JETZT ZEIGEN WIR JEDEM DRECKSKERL, MISTSTÜCK UND ARSCHFICKER VON EINEM NAZI, WAS EIN GUTES HOTEL IST! HOFFE, DIE KINDER SIND NICHT ERKÄLTET, UND VERGISS NICHT, DIE HAUSTIERE IMPFEN ZU LASSEN.
Da Kummer das einzige Haustier in unserer Familie war - und er brauchte Hilfe, aber bestimmt keine Impfung -, fragten wir uns, ob Freud der Meinung war, wir hätten immer noch Earl.
»Natürlich nicht«, sagte Vater. »Er meint das ganz allgemein, er will uns einfach behilflich sein.«
»Sieh zu, daß Kummer geimpft wird, Frank«, sagte Franny, aber Frank fand langsam eine bessere Einstellung zu Kummer; er ließ sich wegen der erneuten Wiederherstellung gelegentlich aufziehen, und er schien der Aufgabe verpflichtet, Kummer - in einer fröhlicheren Pose - für Egg umzumodeln. Uns wurde natürlich nicht erlaubt, die Verwandlung des greulichen Hundes mitzuerleben, aber Frank selbst wirkte immer fröhlich, wenn er vom BiologieLabor zurückkam, so daß wir nur hoffen konnten, diesmal werde Kummer »lieb« sein.
Vater las ein Buch über den österreichischen Antisemitismus und fragte sich, ob Freud die richtige Wahl getroffen hatte, als er dem Hotel den Namen Gasthaus Freud gab; Vater fragte sich nach allem, was er las, ob die Wiener den anderen Freud überhaupt mochten. Und er konnte nicht umhin, sich zu fragen, wer wohl mit »jedem Dreckskerl, Miststück und Arschficker von einem Nazi« gemeint war.
»Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, wie alt Freud ist«, sagte Mutter.
Sie kamen zu dem Schluß, daß, wenn er 1939 Mitte oder Ende Vierzig gewesen war, er jetzt allenfalls ein Mittsechziger sein konnte. Aber Mutter sagte, er höre sich älter an. In seinen Botschaften an uns, meinte sie.
TAG! SCHNELLER EINFALL: WÄRE ES NICHT AM BESTEN, BESTIMMTE AKTIVITÄTEN AUF BESTIMMTE STOCKWERKE ZU BESCHRÄNKEN? ZUM BEISPIEL EINE BESTIMMTE ART VON KUNDSCHAFT IM DRITTEN STOCK UNTERZUBRINGEN, ANDERE ART IM UNTERGESCHOSS? HEIKLE SACHE, DIESE UNTERSCHEIDUNG, FINDEST DU? GEGENWÄRTIGE TAG- UND NACHTKUNDSCHAFT MIT UNTERSCHIEDLICHEN - ICH WILL NICHT SAGEN »WIDERSTREITENDEN« - INTERESSEN. HA HA! DAS ALLES WIRD ANDERS, WENN WIR RENOVIEREN. UND WENN DIE FICKER AUFHÖREN, DIE STRASSE AUFZUREISSEN. BLOSS NOCH EIN PAAR JAHRE, DANN SIND DIE KRIEGSSCHÄDEN BEHOBEN, SAGEN SIE. WARTE NUR, BIS DU DEN BÄREN SIEHST: NICHT NUR SCHLAU, SONDERN AUCH JUNG! WAS FÜR EIN TEAM WIR ABGEBEN WERDEN! WAS MEINST DU MIT: »IST FREUD WIRKLICH EIN BELIEBTER NAME IN WIEN?« HAST DU HARVARD BESUCHT ODER NICHT??!! HA HA.
»Er hört sich nicht unbedingt älter an«, sagte Franny, »nur verrückt.«
»Er kann bloß nicht so gut Englisch«, sagte Vater. »Schließlich ist es nicht seine Sprache.«
Also lernten wir Deutsch. Franny, Frank und ich besuchten den Deutschunterricht an der Dairy School, und die Schallplatten nahmen wir mit nach Hause, um sie Lilly vorzuspielen. Mutter arbeitete mit Egg. Sie begann damit, daß sie ihn einfach an die Namen der Straßen und Sehenswürdigkeiten auf der Touristenkarte gewöhnte.
»Lobkowitzplatz«, sagte Mutter.
»Was?« sagte Egg.
Vater sollte selbständig lernen, aber er schien die geringsten Fortschritte zu machen. »Ihr als Kinder müßt es lernen«, sagte er oft. »Ich brauche nicht zur Schule zu gehen, Gleichaltrige kennenzulernen und all das.«
»Aber wir gehen doch auf eine englischsprachige Schule«, sagte Lilly.
»Trotzdem«, sagte Vater. »Ihr werdet öfter deutsch sprechen müssen als ich.«
»Aber du wirst ein Hotel leiten«, sagte Mutter zu ihm.
»Am Anfang werde ich ganz auf das amerikanische Publikum zielen«, sagte Vater. »Du weißt doch, wir wollen zuerst versuchen, amerikanische Stammgäste anzuwerben.«
»Eigentlich sollten wir alle auch unser Amerikanisch auffrischen«, sagte Franny.
Frank kam am schnellsten voran. Ihm schien das Deutsche zu liegen: jede Silbe wurde ausgesprochen, die Verben kamen am Satzende wie Kanonenschläge, die Umlaute waren eine Art vornehmer Verkleidung; und schon die Idee, daß Wörter ein Geschlecht haben, muß Frank
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