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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sie hinzu, während sie mich aus der Tür drängte. »Du gehst jetzt besser«, sagte sie.
    »Wer hat zwei Jahre an einem Deckengemälde gearbeitet und es dann Schweinsdreck genannt?« fragte mich Frank beim Frühstück.
    »Herrgott, Frank, wir sitzen beim Frühstück«, sagte ich. »Gustav Klimt«, sagte Frank selbstgefällig.
    Und so verging der Winter 1957: ich arbeitete immer noch mit den Gewichten, hielt mich aber bei den Bananen zurück; ich besuchte immer noch Ronda Ray, träumte aber von der Kaiserstadt; ich lernte unregelmäßige Verben und die faszinierenden Belanglosigkeiten der Geschichte; ich versuchte, mir den Zirkus vorzustellen, der Fritzens Nummer hieß, und das Hotel, das Gasthaus Freud hieß. Unsere Mutter schien müde, aber sie zeigte sich loyal; sie und mein Vater schienen auf häufigere Besuche im alten 2 E zurückzugreifen, wo ihre Differenzen ihnen vielleicht leichter zu lösen schienen. Die Uricks waren auf der Hut; sie neigten immer mehr zu vorsichtiger Zurückhaltung, da sie sich zweifellos im Stich gelassen fühlten - »einem Zwerg ausgeliefert«, sagte Max, aber nur, wenn Lilly nicht in der Nähe war. Und eines Morgens, als sich schon das Frühjahr ankündigte und der immer noch halb gefrorene Boden im Elliot Park schwammig zu werden begann, weigerte sich Ronda Ray, Geld von mir zu nehmen - aber mich nahm sie an.
    »Es ist nicht legal«, flüsterte sie verbittert. »Ich bin keine Verbrecherin.«
    Später entdeckte ich, daß sie auf ein höheres Ziel setzte.
    »Wien«, flüsterte sie. »Was willst du dort machen ohne mich?« fragte sie. Ich hatte tausend Ideen und fast so viele bildliche Vorstellungen, aber ich versprach Ronda, ich würde Vater bitten, sich zu überlegen, ob er sie nicht doch mitnehmen wollte.
    »Sie schafft eine Menge«, sagte ich zu Vater. Mutter zog die Augenbrauen hoch. Franny verschluckte sich. Frank brummte über das Wetter in Wien: »Jede Menge Regen.« Und Egg wollte natürlich wissen, was wir redeten.
    »Nein«, sagte Vater. »Ronda nicht. Das können wir uns nicht leisten.« Alle sahen erleichtert aus - selbst ich, das muß ich zugeben.
    Ich brachte es Ronda bei, als sie gerade den Tresen der Bar einölte.
    »Nun ja, nochmal fragen hat ja nichts geschadet, oder?« sagte sie.
    »Nein, das nicht«, sagte ich. Aber als ich am nächsten Morgen vor ihrer Tür stehenblieb und ein bißchen schnaufte, schien es doch geschadet zu haben.
    »Lauf ruhig weiter, John-O«, sagte sie. »Laufen ist legal. Laufen kostet nichts.«
    Ich hatte daraufhin eine unbeholfene und vage Unterhaltung mit Junior Jones, bei der es um die ›Wollust‹ ging; es tröstete mich, daß er davon nicht mehr zu verstehen schien als ich. Es war für uns beide frustrierend, daß Franny zu dem Thema so ganz andere Ansichten hatte.
    »Frauen«, sagte Junior Jones. »Die sind ganz anders als du und ich.« Ich nickte natürlich. Franny schien Junior seine ›Wollust‹ mit Ronda Ray verziehen zu haben, aber irgend etwas in ihr hielt ihn weiterhin auf Distanz; es schien ihr, zumindest nach außen, gleichgültig, daß sie Junior Jones zugunsten Wiens zurücklassen mußte. Vielleicht war sie hin- und hergerissen, weil sie einerseits nicht wollte, daß ihr Junior zu sehr fehlte, und sie andererseits hoffnungsvoll aber ruhig dem Abenteuer entgegensah, das Wien ihr bringen konnte.
    Sie zeigte kein Interesse, wenn man sie danach fragte, und so mußte ich mich in diesem Frühjahr öfter als sonst mit Frank rumschlagen; Frank war aufgedreht: sein Schnurrbart war eine nervöse Variante der Ausschweifungen im Gesicht des verblichenen Kronprinzen Rudolf, auch wenn Franny und ich Frank gerne den Mäusekönig nannten.
    »Da kommt er, der Mann, der Hunde auf Kommando furzen lassen kann! Wer ist der Mann?« rief ich.
    »Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst!« brüllte dann Franny. »Hier ist er, der Held aller Straßenclowns! Haltet ihn fern von offenen Fenstern!«
    »Mäusekönig!« rief ich.
    »Ihr könnt mich mal, alle beide«, sagte Frank.
    »Wie kommst du mit dem Hund voran, Frank?« fragte ich; damit ließ er sich immer wieder ködern.
    »Na ja«, sagte Frank, und eine Vision von Kummer ließ seinen Schnurrbart erzittern, »ich glaube, Egg wird sich freuen - auch wenn uns anderen Kummer vielleicht ein bißchen zahm vorkommen wird.«
    »Da hab ich meine Zweifel«, sagte ich. Wenn ich Frank ansah, konnte ich mir den Kronprinzen vorstellen, schwermütig auf dem Weg nach Mayerling - um seine Geliebte zu ermorden und

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