Das Hotel New Hampshire
Teenagerjahre. Ich bin der Prototyp des Mädchens, von dem sie sagen: ›Nicht schlecht, wenn man ihr einen Sack über den Kopf stülpt‹.«
»Mach dir nichts draus«, sagte Frank. »Ich bin homosexuell. So toll werden meine Teenagerjahre auch nicht werden.«
»Na ja, du bist wenigstens attraktiv«, sagte Susie der Bär. »Eure ganze Familie ist attraktiv«, sagte sie und warf uns allen einen boshaften Blick zu. »Ihr werdet euch vielleicht auch diskriminiert fühlen, aber ich kann euch sagen: am schlimmsten diskriminiert werden immer noch die Häßlichen. Ich war schon ein häßliches Kind, und ich werde immer häßlicher, mit jedem verfickten Tag.«
Wir mußten sie einfach anstarren in ihrem Bärenfell ohne Kopf; wir fragten uns natürlich, ob Susies eigener Leib wohl so plump war wie der eines Bären. Und als wir sie später an diesem Nachmittag in ihrem T-Shirt und in Sporthosen schwitzen sahen, wie sie in Freuds Büro ihre tiefen Hocken und Kniebeugen machte - um sich warmzumachen für ihre Aufgabe am Abend, wenn die Radikalen gegangen waren und die Prostituierten kamen -, da konnten wir sehen, daß sie die richtige Figur für ihre spezielle Tierdarstellung hatte.
»Ganz schön was dran, hm?« sagte sie zu mir. Zu viele Bananen, hätte Iowa-Bob vielleicht gesagt; und zuwenig Laufarbeit.
Aber fairerweise muß man sagen, daß Susie eigentlich nur im Kostüm (und in der Rolle) des Bären auftreten und ausgehen konnte. Und Gymnastikübungen sind schwierig, wenn man als Bär verkleidet ist.
»Ich darf mich ja nicht verraten, sonst sind wir dran«, sagte sie.
Denn wie sollte Freud die Ordnung aufrechterhalten, ohne sie? Susie der Bär war die vollstreckende Gewalt. Wenn die Radikalen durch Störenfriede von der Rechten belästigt wurden, wenn es im Flur und im Treppenhaus zu heftigen Wortgefechten kam, wenn irgendein Faschist der neuen Welle losbrüllte: »Nichts ist frei!« - wenn ein kleiner Haufen von Protestlern in die Halle kam und auf einem Spruchband forderte, das Symposion über Ost-West-Beziehungen solle sich verziehen ... in den Osten -, all das waren Situationen, in denen Freud sie brauchte, sagte Susie.
»Raus hier, ihr reizt den Bären!« schrie dann Freud.
Manchmal half erst ein tiefes Knurren und eine kurze Attacke.
»Schon komisch«, sagte Susie. »Ich bin eigentlich kein großer Kämpfer, aber niemand versucht, sich mit einem Bären anzulegen. Ich brauche so einen Kerl nur zu packen, und schon kugelt er sich zusammen und fängt an zu wimmern. Ich brauche die Schweine nur anzuhauchen, ich brauche sie nur ein bißchen Gewicht spüren zu lassen. Keiner wehrt sich, wenn du ein Bär bist.«
Weil die Radikalen für diesen Bärenschutz dankbar waren, war es wirklich kein Problem, sie zum Umzug in den obersten Stock zu bewegen. Mein Vater und Freud erläuterten am Nachmittag ihren Standpunkt. Vater bot mich als Schreibmaschinenträger an, und ich begann die Maschinen nach oben in die leeren Räume im vierten Stock zu bringen. Sie hatten ein halbes Dutzend Schreibmaschinen und einen Umdrucker; das übliche Büromaterial; und eine Menge überflüssiger Telefone, wie es schien. Beim dritten oder vierten Schreibtisch fing ich an, es ein wenig müde zu werden, aber ich hatte während der Reise mein übliches Krafttraining vernachlässigt - da war mir dieses zusätzliche Training willkommen. Ich fragte ein paar von den jüngeren Radikalen, ob sie wüßten, wo ich mir einen Satz Hanteln kaufen könnte, aber sie wirkten sehr mißtrauisch - ob wir wohl Amerikaner waren? -, und entweder verstanden sie kein Englisch, oder sie zogen es vor, ihre eigene Sprache zu sprechen. Es gab einen kurzen Protest von einem der älteren Radikalen, der einen offenbar recht lebhaften Streit mit Freud vom Zaun brach, aber Susie der Bär begann zu winseln und mit schaukelndem Kopf dem alten Mann um die Knöchel zu streichen - als wolle sie sich an seinem Hosenaufschlag die Nase putzen -, und da beruhigte er sich wieder und stieg die Treppe hoch, obwohl er genau wußte, daß Susie kein richtiger Bär war.
»Was schreiben die eigentlich?« wollte Franny von Susie wissen. »Ich meine, sind es irgendwelche Rundschreiben oder so, ist es Propaganda?«
»Warum haben sie so viele Telefone?« fragte ich, denn wir hatten die Telefone nicht ein einziges Mal klingeln hören - den ganzen Tag nicht.
»Sie telefonieren viel nach draußen«, sagte Susie. »Ich glaube, sie sind zu telefonischen Drohungen übergegangen. Und ihre
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