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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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und ich gingen durch mein Zimmer in dasselbe Badezimmer; dort konnten wir durch die Tür in Frannys Zimmer spähen.
    Der Kopf des Bären auf dem Teppich am Fußende von Frannys Bett hatte im ersten Moment etwas Schauriges: als hätte jemand die ins Zimmer eindringende Susie von ihrem Kopf getrennt. Aber es war nicht der Bärenkopf, der unsere Aufmerksamkeit fesselte. Es war die Musik, die von Franny kam - zugleich durchdringend und sanft, so lieb wie Mutter, so glücklich wie Egg. Es war ein Lied, das kaum an Sex denken ließ, obwohl Sex sein Thema war, denn Franny lag auf ihrem Bett, die Arme über dem Kopf, den Kopf zurückgeworfen, und zwischen ihren langen, sich leicht hin- und herbewegenden Beinen (den wassertretenden Beinen einer Schwimmerin mit Auftrieb) im dunklen Schoß meiner Schwester (den ich nicht hätte sehen dürfen) lag ein kopfloser Bär - ein kopfloser Bär leckte dort voller Hingabe, wie ein Tier, das seine frisch erlegte Beute auffrißt, wie ein Tier, das im Herzen eines Waldes seinen Durst stillt.
    Dieser Anblick erschreckte Frank und mich. Wir wußten nicht wohin, nachdem wir das gesehen hatten, und aus keinem besonderen Grund und mit nichts - oder zuviel - im Sinn stolperten wir in die Eingangshalle. Dort begrüßten uns all die Nutten auf den Stufen; weil es so heiß war, weil sie nichts zu tun hatten und sich langweilten, freuten sie sich offenbar ganz besonders, daß wir kamen, obwohl sie eigentlich immer ziemlich froh schienen, uns zu sehen. Nur Kreisch-Annie sah enttäuscht aus - als habe sie einen Augenblick lang geglaubt, es gebe Kundschaft.
    Die Dunkle Inge sagte: »He, ihr beiden, ihr seht ja aus, als sei euch ein Gespenst begegnet.«
    »Ist euch das Essen nicht bekommen, Kinder?« fragte die Alte Billig. »Ihr solltet längst im Bett sein.«
    »Sind's eure Ständer, die euch nicht einschlafen lassen?« fragte Jolanta.
    »Oui, oui«, sang Babette. »Bringt eure Ständer zu uns!«
    »Hört auf damit«, sagte die Alte Billig. »Zum Ficken ist es eh zu heiß.«
    »Es ist nie zu heiß«, sagte Jolanta.
    »Und nie zu kalt«, sagte Kreisch-Annie.
    »Wollt ihr Karten spielen?« fragte uns die Dunkle Inge. »Neunerin?«
    Aber Frank und ich drehten uns wie Aufzieh-Soldaten am Fuß der Treppe ein paarmal unbeholfen um die eigene Achse, machten kehrt, gingen zurück in Franks Zimmer - und fühlten uns plötzlich, wie Magneten, von Vater angezogen.
    »Wir wollen nach Hause«, sagte ich zu ihm. Er wachte auf und ließ Frank und mich in sein Bett kriechen - als ob wir noch klein wären.
    »Bitte, Dad, laß uns nach Hause gehen«, flüsterte Frank.
    »Sobald wir hier Erfolg haben«, versicherte uns Vater. »Sobald wir es geschafft haben - das verspreche ich.«
    »Wann?« zischte ich, aber Vater nahm mich in den Schwitzkasten und küßte mich.
    »Bald«, sagte er. »Schon bald läuft der Laden hier wie geschmiert, das spür ich.«
    Tatsächlich blieben wir bis zum Jahr 1964 in Wien; sieben Jahre verbrachten wir dort.
    »Ich bin dort alt geworden«, sagte Lilly später; sie war achtzehn, als wir Wien verließen. Älter, aber nicht wesentlich größer - wie Franny einmal sagte.
    Kummer schwimmt obenauf. Eigentlich wußten wir das. Es hätte uns nicht überraschen dürfen.
    Doch an dem Abend, an dem Susie der Bär Franny die Pornographie vergessen ließ - und meine Schwester so schön zum Singen brachte -, stach Frank und mir eine Ähnlichkeit ins Auge, die noch größer war als die Ähnlichkeit zwischen Ernst dem Pornographen und Chipper Dove. In Franks Zimmer - die Schneiderpuppe hatten wir gegen die Tür gelehnt - lagen Frank und ich und flüsterten in der Dunkelheit.
    »Hast du den Bären bemerkt?« sagte ich.
    »Ihren Kopf hab ich nicht gesehen«, sagte Frank.
    »Genau«, sagte ich. »Es war also, genaugenommen, nur das Bärenfell - Susie war irgendwie zusammengekrümmt.«
    »Warum trug sie immer noch das Bärenfell?« fragte Frank.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich.
    »Wahrscheinlich fingen sie gerade erst an«, spekulierte Frank.
    »Aber wie der Bär ausgesehen hat«, sagte ich. »Hast du's bemerkt?«
    »Ich weiß«, flüsterte Frank.
    »Allein schon das Fell, und dann diese gekrümmte Haltung«, sagte ich. »Ich weiß, was du sagen willst«, sagte Frank. »Hör auf.« In der Dunkelheit wußten wir beide, wie Susie der Bär ausgesehen hatte - wir hatten beide die Ähnlichkeit erkannt. Franny hatte uns gewarnt: wir sollten aufpassen, hatte sie gesagt, auf Kummers neue Posen, auf Kummers neue

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