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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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und ihre Abneigung gegen die nächtlichen Aktivitäten im Hotel New Hampshire grenzten sicher an das, was Ernst »Ekel« genannt hätte. Wenn es regnete, begleiteten Frank und ich sie nur bis zur Straßenbahnhaltestelle auf der Ringstraße bei der Oper; bei schönem Wetter gingen wir mit ihr über den Heldenplatz und den Ring hinauf zur Universität. Wir waren einfach drei junge Leute, die eben noch an Wale gedacht hatten und jetzt unterwegs waren zwischen den hohen Bauten einer Stadt, die für uns alle zu alt war. An vielen Abenden hätte man meinen können, Frank sei gar nicht da.
    »Lilly ist erst elf«, sagte Fehlgeburt etwa. »Daß sie die Literatur so liebt, ist wirklich schön. Es könnte ihre Rettung sein. Dieses Hotel ist keine Umgebung für sie.«
    »Wo ist die Gemütlichkeit?« sang Frank.
    »Du kannst es sehr gut mit Lilly«, sagte ich zu Fräulein Fehlgeburt. »Möchtest du später mal eine Familie haben?«
    »Vierhundertvierundsechzig!« sang Frank.
    »Ich möchte erst Kinder, wenn die Revolution vorbei ist«, sagte Fehlgeburt humorlos.
    »Glaubst du, Fehlgeburt mag mich?« fragte ich Frank auf unserem Nachhauseweg.
    »Wart lieber, bis die Schule anfängt«, schlug Frank vor. »Such dir ein nettes Mädchen - in deinem Alter.«
    Und so lebte ich zwar in einem Wiener Bordell, doch mein sexueller Horizont war wahrscheinlich wie der der meisten fünfzehnjährigen Amerikaner im Jahr 1957; ich wichste zu Phantasien von einer gefährlich gewalttätigen Prostituierten, während ich ein junges »älteres« Mädchen brav nach Hause begleitete - und auf den Tag wartete, an dem ich es wagen könnte, sie zu küssen oder auch nur ihre Hand zu halten.
    Ich rechnete damit, daß die »ängstlichen Seelen« - die Gäste, die sich (nach Schwangers Voraussage) zu dem Hotel hingezogen fühlten - mich an mich selber erinnern würden. Sie taten es nicht. Sie kamen gelegentlich in Bussen: sonderbare Gruppen auf speziell für sie arrangierten Touren - und manche der Touren waren so sonderbar wie die Gruppen. Bibliothekare aus Devon, Kent und Cornwall; Ornithologen aus Ohio - sie hatten bei Rust Störche beobachtet. Sie waren in ihren Gewohnheiten so beständig, daß sie alle zu Bett gingen, bevor die Huren mit ihrer Arbeit begannen; sie verschliefen den ganzen nächtlichen Trubel und waren morgens oft schon wieder zu einer Tour aufgebrochen, bevor Kreisch-Annie ihren letzten Orgasmus zum Abschluß gebracht hatte, bevor der Alte Billig das Haus betrat - mit einer strahlenden neuen Welt vor dem alten geistigen Auge. Die meisten Gruppen waren vergeßlich, und so konnte Frank sich manchmal etwas Geld verdienen, indem er mit ihnen »Rundgänge« durch Wien machte. Die Gruppen waren unproblematisch - selbst der japanische Männergesangverein, der die Huren als eine Gruppe entdeckte (und sie als eine Gruppe benutzte). Was für laute, seltsame Tage - all das Vögeln, all das Singen! Die Japaner hatten jede Menge Kameras dabei und machten so viele Fotos, wie sie nur konnten - auch alle unsere Familienfotos. Tatsächlich beklagte Frank später immer wieder, daß die einzigen Bilder, die wir aus unserer Zeit in Wien haben, von jenem einen Besuch des japanischen Männergesangvereins stammen.
    Es gibt ein Bild mit Lilly und Fehlgeburt - und einem Buch, versteht sich. Es gibt ein rührendes Bild von den zwei Alten Billigs, auf dem sie, wie Lilly sagen würde, wie ein »süßes« altes Ehepaar aussehen. Dann ist da Franny, die sich auf die kräftige Schulter Susies des Bären stützt; Franny sieht ein wenig dünn aus, dabei aber frech und stark - »merkwürdig selbstsicher« sei sie damals gewesen, meint Frank. Ein komisches Bild von Vater und Freud ist auch dabei. Sie scheinen sich den Baseballschläger zu teilen - oder es sieht aus, als hätten sie sich um den Schläger gezankt, als hätten sie sich darum gestritten, wer am Schlag war, und ihren Streit nur kurz für den Fotografen unterbrochen.
    Ich stehe neben der Dunklen Inge. Ich kann mich an den japanischen Herrn erinnern, der Inge und mich bat, uns nebeneinander aufzustellen; wir hatten am Tisch gesessen und Neunerin gespielt, aber der Japaner sagte, die Beleuchtung da sei ungünstig, wir müßten aufstehen. Es ist eine etwas unnatürliche Szene; Kreisch-Annie sitzt noch am Tisch - auf der Seite, wo es reichlich Licht gab -, und die übermäßig gepuderte Babette flüstert Jolanta etwas zu, die ein Stückchen hinter dem Tisch steht, die Arme über dem eindrucksvollen Busen gekreuzt.

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