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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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alles höchst erstaunlich.
    Jemand hat mir erzählt, daß das Postamt immer noch da ist. Die Post überdauert.
    Und es gibt immer noch Prostituierte in der Krugerstraße; niemand braucht mir zu erzählen, daß die Prostitution überdauert.
    Am nächsten Morgen weckte ich Susie den Bären. »Earl!« sagte sie und rappelte sich aus dem Schlaf. »Was ist denn jetzt schon wieder, verfickt und zugenäht!«
    »Ich will, daß du mir hilfst«, sagte ich zu ihr. »Du mußt Franny retten.«
    »Franny ist unheimlich abgebrüht«, sagte Susie der Bär. »Sie ist schön und abgebrüht«, sagte Susie und drehte sich auf die andere Seite, »und sie braucht mich nicht.«
    »Du machst Eindruck auf sie«, sagte ich; das war eine hoffnungsvolle Lüge. Susie war erst zwanzig, nur vier Jahre älter als Franny, aber wenn man sechzehn ist, sind vier Jahre eine ganze Menge. »Sie mag dich«, sagte ich, und das war mit Sicherheit nicht gelogen. »Du bist immerhin älter, du bist für sie so etwas wie eine ältere Schwester, verstehst du?« sagte ich.
    »Earl!« sagte Susie der Bär, beharrend auf ihrer Verkleidungsrolle.
    »Du bist vielleicht komisch«, sagte Frank zu Susie, »aber du kannst Franny eher beeinflussen als wir.«
    »Franny retten? Wovor denn?« fragte Susie der Bär.
    »Vor Ernst«, sagte ich.
    »Vor der Pornographie«, sagte Lilly schaudernd.
    »Du mußt ihr helfen, sie muß in sich drin wieder sie selber werden«, bat Frank Susie.
    »Ich mach normalerweise nicht mit minderjährigen Mädchen rum«, sagte Susie.
    »Du sollst ihr ja helfen, nicht mit ihr rummachen«, sagte ich, aber Susie der Bär lächelte nur. Sie setzte sich auf in ihrem Bett - das Bärenfell unordentlich auf dem Boden, ihr eigenes Haar wie Bärenhaar widerspenstig in alle Richtungen zeigend, ihr verkniffenes Gesicht wie eine Wunde über dem schäbigen T-Shirt.
    »Jemandem helfen ist dasselbe wie mit jemandem rummachen«, sagte Susie der Bär.
    »Willst du's nicht wenigstens versuchen?« bat ich sie.
    »Und dann fragst du mich, wo die eigentlichen Probleme begonnen hätten«, sagte Frank später zu mir: »Also, mit der Pornographie bestimmt nicht - meiner Meinung nach«, sagte Frank. »Es spielt zwar keine Rolle, natürlich nicht, aber ich weiß, wie die Probleme begannen, die dich trafen«, fügte Frank noch hinzu.
    Eigentlich möchte ich das ebensowenig schildern wie die Pornographie, aber Frank und ich sahen es nur ganz kurz - wir hatten nur den flüchtigsten Eindruck davon, doch das war mehr als genug.
    Es begann an einem Abend im August, als es so heiß war, daß Lilly Frank und mich geweckt und um ein Glas Wasser gebeten hatte - als sei sie wieder ein kleines Baby -, an einem Abend, als es so heiß war, daß die Männer auf der Krugerstraße nicht mehr an Nutten dachten; deshalb war es ruhig im Gasthaus Freud. Es gab keine Kunden, die Kreisch-Annie zum Kreischen brachten, niemand war auch nur interessiert genug, um mit Jolanta zu grunzen, mit Babette zu wimmern, die Alte Billig herunterzuhandeln oder auch nur einen Blick auf die junge Dunkle Inge zu riskieren. Auch im Cafe Mowatt war es zu heiß; die Nutten saßen auf den Stufen in der kühlen, dunklen Halle des Gasthauses Freud, die mittlerweile im Bau war. Freud lag natürlich im Bett und schlief; er konnte die Hitze nicht sehen. Und Vater, der die Zukunft deutlicher sah als den Augenblick, schlief ebenfalls.
    Ich ging in Franks Zimmer und traktierte die Schneiderpuppe eine Weile mit Boxhieben.
    »Jessas Gott«, sagte Frank, »hoffentlich besorgst du dir bald ein paar Hanteln und läßt meine Puppe in Ruhe.« Aber auch er konnte nicht schlafen; wir schubsten die Schneiderpuppe zwischen uns hin und her.
    Man konnte das Geräusch unmöglich mit Kreisch-Annie verwechseln - oder mit einer der anderen Nutten. Das Geräusch schien nichts mit Kummer zu tun zu haben; zu viel Licht klang da mit, als daß Kummer im Spiel sein konnte; zu viel von der Musik des Wassers klang da mit, als daß Frank und ich an einen gekauften Fick oder auch nur an Begierde gedacht hätten - diese Licht- und Wassermusik konnte auch mit Begierde nichts zu tun haben. Frank und ich hatten so etwas noch nie gehört, und wenn ich heute zurückblicke - auf mittlerweile vierzig Jahre -, kann ich mich an keine zweite Aufnahme dieses Liedes erinnern; in meinem ganzen Leben sang niemand genau dieses Lied für mich.
    Es war das Lied, das Susie der Bär Franny singen ließ. Susie mußte durch Frannys Zimmer, um ins Badezimmer zu kommen. Frank

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