Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
ausgebreitet, und es gab das an Autos erinnernde Zeug, das man in Reparaturwerkstätten und nicht in Büros erwarten würde: chemisches Zeug, elektrisches Zeug. Der Alte Billig, der Arbeiter einen Wahnsinnigen genannt hatte, war nicht da. Und meine süße Fehlgeburt war, wie es sich für eine brave Studentin der amerikanischen Literatur gehört, entweder zu Hause und las ein Buch, oder sie war zu Hause und schlief. Meiner Meinung nach waren nur die bösen Radikalen da: Ernst, Arbeiter und Schraubenschlüssel.
    »Das war vielleicht ein Orgasmus heute abend, Tod und Teufel!« sagte Schraubenschlüssel und schielte dabei lüstern nach Jolanta.
    »Bloß getürkt«, sagte Jolanta.
    »Diesmal war er vielleicht echt«, sagte Arbeiter.
    »Träumer«, sagte Jolanta.
    »Du hast die Abgebrühte im Schlepptau, was?« sagte Ernst zu mir. »Du magst gut abgehangenes Fleisch, wie ich sehe.«
    »Du kannst doch nur darüber schreiben«, sagte Jolanta zu ihm. »Wahrscheinlich kriegst du ihn nicht mal hoch.«
    »Für dich wüßte ich genau die richtige Stellung«, sagte Ernst zu ihr.
    Aber ich wollte es nicht hören. Sie machten mir alle angst.
    »Wir gehen wieder«, sagte ich. »Entschuldigt die Störung. Wir wußten nur nicht, daß nachts jemand hier ist.«
    »Die Arbeit nimmt überhand, wenn wir nicht ab und zu länger hierbleiben«, sagte Arbeiter.
    Zusammen mit Jolanta, deren starke Hände irgend etwas in ihrer Handtasche umklammerten, sagte ich Gutenacht. Und es war keine Einbildung, als ich - beim Weggehen - im Schatten des hintersten Zimmers eine weitere Gestalt sah. Auch sie hatte eine Handtasche, aber was sie sonst in der Handtasche trug, war jetzt draußen - in ihrer Hand, und auf Jolanta und mich gerichtet. Ich konnte nur einen flüchtigen Blick auf sie und ihren Revolver werfen, bevor sie in den Schatten zurücktrat und Jolanta die Tür zumachte. Jolanta sah sie nicht; Jolanta behielt nur Ernst im Auge. Aber ich sah sie: unsere sanfte mütterliche Radikale, Schwanger - mit einem Revolver in der Hand.
    »Was hast du da eigentlich in deiner Handtasche?« fragte ich Jolanta. Sie zuckte mit den Achseln. Ich sagte ihr Gutenacht, aber sie ließ eine große Hand in meine Hose gleiten und hielt mich einen Moment fest; ich war so schnell aus dem Bett und in die Kleider geschlüpft, daß für Unterwäsche keine Zeit geblieben war. »Du schickst mich nochmal auf die Straße raus?« fragte sie mich. »Ich will nur noch einen Freier, bevor ich Schluß mache.«
    »Für mich ist es zu spät«, sagte ich, aber sie spürte, daß ich in ihrer Hand steif wurde.
    »Fühlt sich nicht an, als sei es zu spät«, sagte sie.
    »Ich hab aber meinen Geldbeutel in einer anderen Hose«, log ich.
    »Du kannst später zahlen«, sagte Jolanta. »Dir traue ich.«
    »Wieviel?« fragte ich, als sie fester zupackte.
    »Für dich nur dreihundert Schilling«, sagte sie. Dreihundert Schilling zahlten alle, das wußte ich zufällig.
    »Das ist zuviel«, sagte ich.
    »Fühlt sich nicht an, als sei es zuviel«, sagte sie und drehte ruckartig an mir; ich war inzwischen sehr steif, und es tat weh.
    »Du tust mir weh«, sagte ich. »Tut mir leid, aber ich will nicht.«
    »Und ob du willst«, sagte sie, aber sie ließ mich los. Sie blickte auf ihre Uhr; sie zuckte mit den Achseln. Sie ging mit mir die Treppen hinunter und in die Lobby; ich sagte ihr noch einmal Gutenacht. Während ich zu meinem Zimmer und sie hinaus auf die Krugerstraße ging, kam Kreisch-Annie wieder ins Haus - mit einem neuen Opfer. Ich lag im Bett und fragte mich, ob ich so tief würde schlafen können, daß mir der nächste getürkte Orgasmus nichts anhaben konnte; dann sagte ich mir, ich würde es nie schaffen, also lag ich nur da und wartete darauf - in der Hoffnung, hinterher noch genug Zeit zum Schlafen zu haben. Doch dieser brauchte lange, bis er kam; ich begann mir einzubilden, es sei schon alles vorbei, ich sei eingedöst und hätte es verpaßt, und - wie im Leben - so glaubte ich, das, was unmittelbar bevorstand, habe bereits stattgefunden, sei bereits vorbei, und ich erlaubte mir, es zu vergessen - um wenig später davon überrascht zu werden.
    Aus dem tiefsten Schlaf - gleich nach dem ersten Einschlafen - zerrte mich Kreisch-Annie mit ihrem getürkten Orgasmus.
    »Kummer!« heulte Frank im Traum, wie damals der arme Iowa-Bob, aufgeschreckt durch seine »Vorahnung« von dem Untier, das sein Ende sein würde.
    Ich schwöre, ich konnte spüren, wie Franny sich in ihrem Schlaf verkrampfte.

Weitere Kostenlose Bücher