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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Suche nach dem verlorenen Sohn zu helfen. Fehlgeburt hatte keine Möbel in ihrem Zimmer; es gab zu viele Bücher und eine Matratze am Fußboden - eine Matratze für ein Einzelbett - und eine einzige Leselampe, ebenfalls am Fußboden. Es war ein freudloses Zimmer, so trocken und vollgestopft wie ein Wörterbuch, so leblos wie Ernsts Logik, und ich beugte mich über das unbequeme Bett und küßte Fehlgeburt auf den Mund. »Nicht«, sagte sie, aber ich küßte sie weiter, bis sie mich zurückküßte. »Du solltest gehen«, sagte sie, wobei sie zurücksank und mich mitzog, so daß ich auf ihr lag.
    »Jetzt?« sagte ich.
    »Nein, jetzt brauchst du nicht zu gehen«, sagte sie. Sie setzte sich auf und begann sich auszuziehen; sie tat das genau so, wie sie sonst ihre Stelle in Moby-Dick markierte - gleichgültig.
    »Soll ich danach gehen?« fragte ich, während auch ich mich auszog.
    »Wenn du willst«, sagte sie. »Ich meine, du solltest weg aus dem Hotel New Hampshire. Du und deine Familie. Ihr solltet weggehen«, sagte sie. »Noch vor der Herbstsaison.«
    »Was für eine Herbstsaison?« fragte ich sie, mittlerweile völlig nackt. Ich dachte an Junior Jones' Herbstsaison bei den Cleveland Browns.
    »Die Opernsaison«, sagte Fehlgeburt, ebenfalls nackt - endlich. Sie war so dünn wie eine Novelle; sie hatte ungefähr den Umfang der kürzesten Kurzgeschichten, die sie Lilly je vorgelesen hatte. Es war, als hätten all die Bücher in ihrem Zimmer von ihr gelebt, als hätten die Bücher sie nicht genährt, sondern verzehrt.
    »Die Opernsaison beginnt im Herbst«, sagte Fehlgeburt, »und bis dahin mußt du mit deiner Familie das Hotel New Hampshire verlassen. Versprich es mir«, sagte sie und hinderte meine Hände daran, auf ihrem hageren Körper höher zu wandern.
    »Warum denn?« fragte ich.
    »Bitte, ihr müßt gehen«, sagte sie. Als ich in sie eindrang, dachte ich, es sei der Sex, der ihr die Tränen in die Augen trieb, doch es war etwas anderes.
    »Bin ich der erste?« fragte ich. Fehlgeburt war neunundzwanzig.
    »Der erste und der letzte«, sagte sie unter Tränen.
    »Hast du irgendwas zu deinem Schutz?« fragte ich, als ich in ihr war. »Ich meine, du weißt schon, damit du nicht schwanger wirst?«
    »Es spielt keine Rolle«, sagte sie in Franks aufreizender Manier.
    »Warum?« fragte ich und versuchte, mich möglichst vorsichtig zu bewegen.
    »Weil ich tot sein werde, bevor das Baby geboren wird«, sagte sie. Ich zog mich zurück. Ich setzte mich auf und zog sie zu mir hoch, aber sie riß mich - mit überraschender Kraft - herunter, so daß ich wieder auf ihr lag; sie nahm mich in die Hand und drückte mich wieder hinein. »Mach schon«, sagte sie ungeduldig - aber es war nicht die Ungeduld des Verlangens. Es war etwas anderes.
    »Fick mich« sagte sie tonlos. »Dann kannst du die Nacht hierbleiben oder nach Hause gehen. Das ist mir gleich. Aber verlaß das Hotel New Hampshire, bitte verlaß es - und sorg bitte vor allem dafür, daß Lilly es verläßt«, bat sie mich. Dann weinte sie heftiger und verlor auch noch das bißchen Interesse, das sie vorher am Sex gehabt haben mochte. Ich war immer noch in ihr, aber ich wurde kleiner. Mir war kalt - ich spürte einen Hauch von Kälte, der von unten kam, aus der Erde, eine Kälte, wie ich sie gespürt hatte, als Frank anfing, uns aus Ernsts Pornographie vorzulesen.
    »Was tun die bei Nacht im vierten Stock?« fragte ich Fehlgeburt, die mich in die Schulter biß und den Kopf schüttelte, die Augen krampfhaft zusammengekniffen. »Was haben die vor?« fragte ich sie. Ich wurde so klein, daß ich ganz aus ihr herausglitt. Ich spürte, wie sie zitterte, und zitterte mit.
    »Sie werden die Oper in die Luft sprengen«, flüsterte sie, »bei einer der Galavorstellungen«, flüsterte sie. »Sie werden Figaros Hochzeit in die Luft sprengen - etwas Volkstümliches von der Sorte. Oder auch etwas Schwereres«, sagte sie. »Ich weiß nicht genau, welche Aufführung - sie wissen es noch nicht genau. Aber jedenfalls eine, die ausverkauft ist«, sagte Fehlgeburt. »Sie wollen die ganze Oper.«
    »Die sind ja wahnsinnig«, sagte ich; ich erkannte meine Stimme nicht wieder. Sie klang krächzend, wie die Stimme der Alten Billigs - der Alten Billig oder des Alten Billig.
    Fehlgeburt wälzte unter mir ihren Kopf hin und her; ihre strähnigen Haare peitschten mein Gesicht. »Bitte hol deine Familie da raus«, flüsterte sie. »Vor allem Lilly«, sagte sie. »Die kleine Lilly« schluchzte

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