Das Hotel New Hampshire
Susie schnaubte. Lilly sagte »Was?« Das Hotel New Hampshire schauderte in der Stille nach dem Donnerschlag. Und dann - vielleicht war es später, tatsächlich in meinem Schlaf - hörte ich, wie etwas Schweres die Treppen heruntergetragen und durch die Lobby hinaus zu Schraubenschlüssels Wagen gebracht wurde. Zuerst vermutete ich hinter den gedämpften Geräuschen Jolanta, die einen toten Kunden auf die Straße hinaustrug, aber sie hätte sich gar nicht erst bemüht, leise zu sein. Ich bilde mir das alles nur ein, sagte ich mir im Schlaf, doch dann klopfte Frank an die Wand.
»Bleib immer weg von offenen Fenstern«, flüsterte ich. Frank und ich trafen uns im Flur. Wir beobachteten die Radikalen, die irgend etwas durch das Fenster der Lobby in ihren Wagen luden. Was immer es sein mochte, es war jedenfalls schwer und still; zuerst dachte ich, es könnte der Leichnam des Alten Billig sein, aber sie gingen mit dem Ding viel zu behutsam um, als daß es ein Leichnam hätte sein können. Was immer es war, es beanspruchte jedenfalls einen Platz auf dem Rücksitz, zwischen Arbeiter und Ernst. Dann fuhr Schraubenschlüssel fort damit.
Durch das Fenster des anfahrenden Autos sahen Frank und ich das mysteriöse Ding im Umriß - leicht gegen Ernst gelehnt, und größer als er, schien es von Arbeiter wegzustreben, auch wenn er den einen Arm darum gelegt hatte, als versuche er vergeblich, eine Geliebte zurückzugewinnen, die sich einem anderen Mann zugewandt hatte. Das Ding - was immer es sein mochte - war eindeutig etwas anderes als ein Mensch, aber es hatte in seiner Erscheinungsform irgendwie etwas seltsam Tierisches. Heute bin ich mir natürlich sicher, daß es durch und durch mechanisch war, aber seine Gestalt in dem vorbeifahrenden Wagen erinnerte an ein Tier - als hätten Ernst der Pornograph und Arbeiter einen Bären oder einen großen Hund zwischen sich. Es war nur eine Wagenladung Kummer, wie Frank und ich - und wir alle - erfahren sollten, aber seine geheimnisvolle Erscheinung verfolgte mich lange.
Ich versuchte, das Ding (und was Jolanta und ich im vierten Stock gesehen hatten) Vater und Freud zu beschreiben. Ich versuchte auch, Franny und Susie dem Bären mein Gefühl bei all dem zu beschreiben. Frank und ich hatten die längste Unterhaltung über Schwanger. »Ich bin sicher, was den Revolver angeht, irrst du dich«, sagte Frank. »Schwanger doch nicht. Sie mag ja dort gewesen sein. Vielleicht wollte sie nicht, daß du sie mit ihnen in Verbindung bringst, und darum hat sie sich versteckt. Aber sie hat bestimmt keinen Revolver. Und sie würde nie einen Revolver auf dich richten. Wir sind wie ihre Kinder - das hat sie uns selbst gesagt! Du phantasierst mal wieder«, sagte Frank.
Kummer schwimmt obenauf; sieben Jahre in einer verhaßten Umgebung sind eine lange Zeit. Aber wenigstens wußte ich Franny in Sicherheit; das war immer das Wichtigste. Franny war in einem Schwebezustand. Sie lebte in den Tag hinein, sie versuchte Zeit zu gewinnen, mit Susie dem Bären - und so gab auch ich mich damit zufrieden, Wasser zu treten.
Auf der Universität studierten dann Lilly und ich (zu Fehlgeburts großer Freude) amerikanische Literatur. Lilly wählte dieses Studienfach natürlich, weil sie eine Schriftstellerin sein wollte - sie wollte wachsen. Für mich war es nur eine weitere indirekte Art des Werbens um das reservierte Fräulein Fehlgeburt; es schien der romantischste Weg. Franny entschied sich für die Dramen der Weltliteratur - sie war immer das Schwergewicht unter uns; wir konnten nie mit ihr Schritt halten. Und Frank befolgte Schwangers mütterlichen und radikalen Rat; Frank studierte Volkswirtschaft. Beim Gedanken an Vater und Freud war uns allen klar, daß das einer von uns studieren sollte. Und Frank war es dann auch, der uns eines Tages rettete, so daß wir alle der Volkswirtschaft dankbar waren. Im Grunde genommen hatte Frank zwei Studienfächer, auch wenn ihm die Universität nur den Volkswirt bescheinigte. Man könnte wohl sagen, daß er im Nebenfach die Religionen der Welt studierte. »Wisse, wer dein Feind ist«, sagte Frank und grinste.
Sieben Jahre lang schwammen wir alle obenauf und ließen uns treiben. Wir lernten Deutsch, aber unter uns redeten wir nur in unserer Muttersprache. Wir lernten viel über Literatur und Dramen, über Volkswirtschaft und Religionen, aber der Anblick von Freuds Baseballschläger ließ uns oft blutenden Herzens an die Heimat des Baseballs denken (obwohl sich eigentlich keiner
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