Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Franny.
    »Wo warst du denn?« fragte sie mich. »Den ganzen Tag fort, die ganze Nacht fort«, tadelte sie mich. »Wir konnten es kaum erwarten, daß du kommst!«
    »Warum denn?« fragte ich. Frannys Duft machte mich benommen.
    »Lillys Buch kommt heraus!« sagte Franny. »Ehrlich, irgendein Verleger in New York kauft ihr Buch!«
    »Für wieviel?« sagte ich, denn ich hoffte, es würde genug sein. Genug für die Fahrkarte, die uns von Wien wegbringen würde - die Fahrkarte, die das zweite Hotel New Hampshire uns nie einbringen würde.
    »Jessas Gott«, sagte Franny. »Deine Schwester feiert einen literarischen Erfolg, und du fragst, wieviel Geld das bringt. Du bist genau wie Frank. Genau das war auch seine Frage.«
    »Das spricht für ihn«, sagte ich. Ich zitterte immer noch; ich hatte eine Prostituierte gesucht und meine Schwester gefunden. Und sie würde mich so schnell nicht wieder laufen lassen.
    »Wo warst du denn?« fragte mich Franny; sie schob mir das Haar aus der Stirn.
    »Bei Fehlgeburt«, sagte ich belemmert. Ich konnte Franny nie anlügen.
    Franny runzelte die Stirn. »Nun, wie war's?« fragte sie und hielt mich weiter fest - aber wie eine Schwester.
    »Nicht so besonders«, sagte ich. Ich blickte von Franny weg. »Fürchterlich«, fügte ich hinzu.
    Franny legte die Arme um mich und küßte mich. Sie wollte mich eigentlich auf die Wange küssen (wie eine Schwester), aber ich wandte mich ihr zu, obwohl ich mich abwenden wollte, und unsere Lippen trafen sich. Und das war es dann auch, mehr war nicht nötig. Damit ging der Sommer 1964 zu Ende; plötzlich war es Herbst. Ich war zweiundzwanzig, Franny dreiundzwanzig. Wir küßten uns lange. Es gab nichts zu sagen. Sie war nicht lesbisch, sie schrieb immer noch an Junior Jones - und an Chipper Dove, und ich war bei keiner anderen Frau je glücklich gewesen; nicht ein einziges Mal; noch nicht. Wir blieben dort draußen auf der Straße, außerhalb des Lichtes von der Neonreklame, so daß uns niemand im Hotel New Hampshire sehen konnte. Wir mußten unseren Kuß unterbrechen, als ein Kunde Jolantas aus dem Hotel getaumelt kam, und wir wurden nochmal unterbrochen - wir hörten Kreisch-Annie. Nach einer Weile kam ihr benommener Kunde heraus, aber Franny und ich blieben auf der Krugerstraße. Später ging Babette nach Hause. Dann ging Jolanta nach Hause, und mit ihr die Dunkle Inge. Kreisch-Annie ging raus und rein, raus und rein, wie Ebbe und Flut. Die Alte Billig ging über die Straße ins Cafe Mowatt und döste an einem Tisch. Ich ging mit Franny zur Kärntner Straße vor und dann hinüber zur Oper. »Du denkst zuviel an mich«, wollte Franny sagen, aber sie brachte den Satz nicht zu Ende. Wir küßten uns wieder. Die Oper war so groß neben uns.
    »Sie werden sie in die Luft jagen«, flüsterte ich meiner Schwester zu. »Die Oper - sie werden sie in die Luft jagen.« Sie überließ sich meinen Armen. »Ich habe dich so schrecklich lieb«, sagte ich ihr.
    »Ich liebe dich auch, verdammt nochmal«, sagte Franny.
    Obwohl das Wetter bereits den Herbst ahnen ließ, konnten wir dort stehen bleiben und über die Oper wachen, bis es hell wurde und die wirklichen Menschen herauskamen, um zur Arbeit zu gehen. Für uns gab es kein Ziel, dem wir zustreben konnten, und - das war uns beiden klar - absolut nichts, was wir tun sollten.
    »Bleib immer weg von offenen Fenstern«, flüsterten wir uns zu.
    Als wir schließlich zum Hotel New Hampshire zurückgingen, stand die Oper unversehrt da - in Sicherheit. Wenigstens eine Weile noch, dachte ich.
    »Sie ist weniger gefährdet als wir«, sagte ich zu Franny. »Sie ist sicherer als die Liebe.«
    »Eins kannst du mir glauben, Kleiner«, sagte Franny und drückte mir die Hand. »Alles ist sicherer als die Liebe.«

10.
Ein Opernabend: Schlagobers und Blut
    »Kinder, Kinder«, sagte Vater zu uns, »wir müssen sehr vorsichtig sein. Ich glaube, das ist der Wendepunkt, Kinder«, sagte unser Vater, als seien wir immer noch acht, neun, zehn und so fort, und er erzähle uns gerade, wie er Mutter im Arbuthnot-by-the-Sea kennenlernte - an jenem Abend, als sie zum erstenmal Freud mit State o' Maine sahen.
    »Es gibt immer einen Wendepunkt«, philosophierte Frank.
    »Das mag ja sein«, sagte Franny ungeduldig, »aber was ist denn mit diesem speziellen Wendepunkt?«
    »Eben«, sagte Susie der Bär und musterte Franny sehr gründlich; Susie hatte als einzige bemerkt, daß Franny und ich die ganze Nacht weggeblieben waren. Franny hatte ihr

Weitere Kostenlose Bücher