Das Hotel New Hampshire
wie ihr Vater, und er nahm sie mit in eine deutsche Stadt mit einem Army-Stützpunkt; später erfuhr ich, daß sie dort zur Nutte wurde. Und Kreisch-Annie kreischte in einer etwas anderen Tonart. Für sie alle! Für meine verlorene Fehlgeburt, selbst für die trügerische Schwanger - für die beiden Alten Billigs; sie waren optimistisch; sie waren Porzellanbären. Für sie alle - außer für Ernst und Arbeiter und Schraubenschlüssel, außer für Chipper Dove: die haßte ich.
Ich ging auf der Kärntner Straße rasch an ein, zwei Nutten vorbei, die mich in Seitengassen locken wollten. Eine große, umwerfende Nutte - eine andere Klasse als unsere Krugerstraße-Nutte - stand an der Ecke Annagasse und warf mir eine Kußhand. An der Krugerstraße ging ich vorbei, ohne hinzublicken, denn ich wollte nicht sehen, wie mir eine oder alle von ihnen zuwinkten. Ich ging vorbei am Hotel Sacher - dessen Klasse das Hotel New Hampshire nie erreichen würde. Und dann kam ich zur Staatsoper, zum Hause Glucks (1714 bis 87, wie Frank ergänzen würde); ich kam zur Staatsoper, die das Haus Mozarts war, das Haus Haydns, Beethovens und Schuberts - das Haus eines Strauß, Brahms, Bruckner, Mahler. Dies war das Haus, das ein Pornograph, der mit Politik herumspielte, in die Luft jagen wollte. Es war riesig; in den sieben Jahren war ich nie drin gewesen - es schien mehr Klasse zu haben als ich, und ich war nie so musikbegeistert wie Frank und nie so auf Dramen versessen wie Franny (Frank und Franny gingen die ganze Zeit in die Oper; Freud nahm sie mit. Er hörte liebend gern zu; Franny und Frank schilderte ihm alles). Wie ich war auch Lilly nie in der Oper gewesen; die Staatsoper sei ihr zu groß, sagte Lilly; sie machte ihr angst.
Nun machte sie mir angst. Sie ist zu groß, um gesprengt zu werden! dachte ich. Aber ich wußte, es waren die Menschen, die sie in die Luft jagen wollten, und Menschen sind leichter zu zerstören als Gebäude. Was sie wollten, war ein Spektakel. Sie wollten das, was Arbeiter auf der Treppe gebrüllt hatte: sie wollten Schlagobers und Blut.
An der Kärntner Straße gegenüber der Oper war ein fahrbarer Wurststand, ein Mann, der Wurst mit Senf und
Bauernbrot verkaufte. Ich wollte keine.
Ich wußte, was ich wollte. Ich wollte erwachsen werden, so schnell wie möglich. Als ich mit Fehlgeburt zusammengewesen war, hatte ich zu ihr gesagt: »Es war sehr schön«, aber ich hatte gelogen, es war überhaupt nichts; es war nicht genug. Es war ein Abend gewesen wie all die anderen, die ich mit Gewichtheben verbrachte.
Als ich in die Krugerstraße einbog, war ich entschlossen, mit der ersten zu gehen, die mich ansprach - und wenn es die Alte Billig war; selbst wenn es Jolanta war, versprach ich mir tapfer. Es spielte keine Rolle; vielleicht würde ich es nach und nach mit allen probieren. Was Freud tun konnte, konnte ich auch tun, und Freud hatte alles getan - unser Freud und der andere Freud, dachte ich; sie waren einfach so weit gegangen, wie sie nur konnten.
Im Cafe Mowatt war kein bekanntes Gesicht, und ich konnte die Gestalt nicht ausmachen, die unter der rosaroten Neonreklame stand: Hotel New Hampshire! Hotel New Hampshire! Hotel New Hampshire!
Es ist Babette, dachte ich und fühlte mich vage abgestoßen - aber es war nur der ekelhaft-süße Dieselgeruch dieser letzten Sommernacht, der mich an sie denken ließ. Die Frau sah mich und kam auf mich zu - aggressiv, wie mir schien, und hungrig. Und ich war sicher, daß es Kreisch-Annie war; für einen Augenblick fragte ich mich, wie ich ihren berühmten getürkten Orgasmus überstehen würde. Vielleicht - bei meiner Vorliebe fürs Flüstern - konnte ich sie bitten, ganz darauf zu verzichten, vielleicht konnte ich ihr einfach sagen, ich wisse, daß er getürkt sei und daß er bei mir völlig überflüssig wäre. Für die Alte Billig war die Frau zu zierlich, aber ich sah auch, daß sie für Kreisch-Annie zu stämmig war; so gut war Kreisch-Annie nicht gebaut. Also war es Jolanta, dachte ich; endlich würde ich herausfinden, was sie in ihrer üblen Handtasche hatte. Vielleicht, dachte ich schaudernd, würde ich schon bald gebrauchen müssen, was Jolanta in ihrer Handtasche hatte. Doch die Frau, die auf mich zukam, war für Jolanta nicht stämmig genug; diese Frau war in der anderen Richtung zu gut gebaut - sie war zu geschmeidig, zu jung in ihren Bewegungen. Sie lief mir entgegen und schlang ihre Arme um mich; mir verschlug es den Atem, so schön war sie. Die Frau war
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