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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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unsere eigene Ermordung nicht überleben. Und es ist in meiner Vorstellung wohl auch deshalb die unmenschlichste Erfahrung, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß ich jemanden vergewaltige, daß ich jemanden vergewaltigen möchte. Deshalb ist mir die Vorstellung so fremd: ich glaube, das ist es, was daran so unmenschlich scheint.«
    »Ich kann mir schon vorstellen, daß ich jemanden vergewaltige«, sagte Susie. »Die Ficker nämlich, die mich vergewaltigt haben«, sagte sie. »Aber das auch nur, weil es einfach Rache wäre. Und es würde nicht gehen, bei einem verfickten Mann«, sagte Susie. »Weil es einem Mann wahrscheinlich Spaß machen würde. Es gibt ja Männer, die glauben, daß es uns Spaß macht, vergewaltigt zu werden«, sagte Susie. »Auf die Idee können sie nur kommen, weil sie glauben, daß es ihnen gefallen würde.«
    Aber in der aschgrauen Lobby des zweiten Hotels New Hampshire ging es Franny und mir nur darum, Susie wieder einigermaßen aufzurichten und zu erreichen, daß sie zum Schlafen in ihr eigenes Zimmer ging. Wir stellten sie buchstäblich auf die Beine, und wir fanden ihren Kopf; wir bürsteten die alten Zigarettenkippen (in denen sie gelegen hatte) von ihrem zottigen Rücken.
    »Komm, zieh dein altes Bärenfell aus, Susie«, versuchte es Franny mit gutem Zureden.
    »Wie konntest du nur - mit Ernst?« sagte Susie leise zu Franny. »Und wie konntest du - mit Nutten?« fragte sie mich. »Ich versteh euch beide nicht«, schloß Susie. »Ich bin zu alt für diese Dinge.«
    »Nein, ich bin zu alt für diese Dinge, Susie«, sagte Vater mit sanfter Stimme zu dem Bären. Wir hatten nicht bemerkt, daß er in der Lobby hinter dem Empfangsschalter stand; wir dachten, er sei schlafen gegangen. Und er war nicht allein. Die weiche mütterliche Radikale, unsere liebe Schlagobers, unsere liebe Schwanger, war bei ihm. Sie hatte ihren Revolver in der Hand, und sie forderte uns mit einer Geste auf, zur Couch zurückzugehen.
    »Sei so lieb«, sagte Schwanger zu mir, »und hol Lilly und Frank. Weck sie behutsam auf«, fügte sie hinzu. »Sei nicht grob, und sieh zu, daß sie nicht erschrecken.«
    Frank lag im Bett, die Schneiderpuppe an seiner Seite. Er war hellwach; ich brauchte ihn nicht zu wecken. »Ich wußte es ja, wir hätten nicht warten dürfen«, sagte Frank. »Wir hätten sie gleich hochgehen lassen sollen.«
    Auch Lilly war hellwach. Lilly schrieb.
    »Jetzt kommt eine neue Erfahrung, über die du schreiben kannst, Lilly«, scherzte ich mit ihr, als wir Hand in Hand zur Lobby zurückgingen.
    »Ich hoffe, es ist nur eine kleine Erfahrung«, sagte Lilly.
    In der Lobby warteten sie alle auf uns. Schraubenschlüssel trug seine Uniform; als Straßenbahnschaffner sah er sehr amtlich aus. Arbeiter hatte sich für die Arbeit feingemacht; ja, er sah so vornehm aus, daß er nicht einmal in der Oper aufgefallen wäre. Er trug einen Smoking - völlig schwarz. Und der Spielmacher war da, der Lenker war da, um die Kommandos zu geben - Ernst der Weiberheld, Ernst der Pornograph, Ernst der Star war da. Nur der Alte Billig fehlte. Er hängte sein Mäntelchen nach dem Wind, wie Arbeiter bemerkt hatte: der Alte Billig war clever genug, sich rechtzeitig vor dem Schlußakt abgesetzt zu haben. Er würde sich für die nächste Vorstellung bereithalten; für Ernst und Arbeiter, für Schraubenschlüssel und Schwanger war dies fraglos die Gala- und möglicherweise die Schlußvorstellung.
    »Lilly, Schätzchen«, sagte Schwanger. »Lauf, hol Freud für uns. Freud sollte auch hier sein.«
    Und Lilly, wieder einmal in der Rolle des Blindenbären für Freud, brachte den alten blindgläubigen Freud zu uns; das Tap-Tap-Tap seiner Louisville-Keule ging ihm voraus, und er trug nichts als seinen scharlachroten Seidenmantel mit dem schwarzen Drachen auf dem Rücken (»Chinatown, New York City, 1939!« hatte er uns erzählt).
    »Was ist das für ein Traum?« sagte der alte Mann. »Was ist bloß aus der Demokratie geworden?«
    Lilly setzte Freud neben Vater auf die Couch; Freud schlug prompt mit dem Baseballschläger gegen Vaters Schienbein.
    »Oh, Verzeihung!« rief Freud. »Wem gehören denn diese Knochen?«
    »Win Berry«, sagte mein Vater leise; es war unheimlich, aber es war das einzige Mal, daß wir Vater seinen eigenen Namen sagen hörten.
    »Win Berry!« schrie Freud. »Na, mit Win Berry in der Nähe kann es ja nicht allzu schlimm werden!« Die anderen schienen da nicht so sicher.
    »Erklärt euch!« schrie Freud in die Dunkelheit,

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