Das Hotel New Hampshire
einer bestimmten Entfernung von der Oper gesprengt werden - ziemlich nahe bei der Oper, genau gesagt. Wenn der Wagen in diesem Bereich explodiert, wird auch die Bombe in der Oper explodieren - gewissermaßen ›aus Sympathie‹ mit der ersten Bombe. Deshalb nenne ich sie eine Sympathiebombe«, fügte er schwachsinnig hinzu. Selbst Vater hätte dem Teil der Erklärung folgen können. »Erst geht der Wagen hoch, und wenn er dabei nahe genug bei der Oper ist, dann folgt die große Bombe - die in der Oper - dann geht auch sie hoch. Die Bombe in dem Wagen ist das, was ich eine Kontaktbombe nenne. Der Kontakt ist das vordere Nummernschild. Wenn das vordere Nummernschild eingedrückt wird, fliegt der ganze Wagen in die Luft. Und etliche Leute in der Umgebung werden ebenfalls in die Luft fliegen«, fügte Schraubenschlüssel hinzu.
»Das läßt sich nicht vermeiden«, sagte Arbeiter.
»Die Bombe in der Oper«, sagte Schraubenschlüssel liebevoll, »ist viel komplizierter als eine Kontaktbombe. Die Bombe in der Oper ist zwar eine chemische Bombe, aber ein sehr feiner elektrischer Impuls ist erforderlich, um sie auszulösen. Der Zünder der Bombe in der Oper - ein außerordentlich empfindlicher Mechanismus - reagiert auf eine ganz spezielle Explosion innerhalb seiner Reichweite. Es ist beinahe, als hätte die Bombe in der Oper Ohren«, sagte Schraubenschlüssel und mußte darüber lachen; es war das erstemal, daß wir ihn lachen hörten - und es war ein widerliches Lachen. Lilly würgte auf einmal, als müsse sie sich gleich erbrechen.
»Dir passiert doch nichts, Schätzchen«, sagte Schwanger, um sie zu beruhigen.
»Ich brauche also nur den Wagen, mit Freud neben mir, die Ringstraße hinunter zur Oper zu fahren«, sagte Schraubenschlüssel. »Natürlich darf ich mit nichts zusammenstoßen, ich muß eine sichere Stelle finden, an der ich seitlich ranfahren kann - und dann steige ich aus«, sagte Schraubenschlüssel. »Sobald ich draußen bin, setzt sich Freud hinters Lenkrad. Niemand wird uns auffordern, weiterzufahren, bevor wir dazu bereit sind; niemand legt sich in Wien mit einem Straßenbahnschaffner an.«
»Wir wissen, daß du Auto fahren kannst, Freud«, sagte Ernst zu dem alten Mann. »Du warst früher mal Mechaniker, stimmt's?«
»Stimmt«, sagte Freud; er war fasziniert.
»Ich stehe direkt neben Freud und unterhalte mich mit ihm durch das Fenster auf der Fahrerseite«, sagte Schraubenschlüssel. »Ich warte, bis ich sehe, daß Arbeiter aus der Oper kommt und über die Kärntner Straße geht - auf die andere Seite.«
»Auf die sichere Seite!« fügte Arbeiter hinzu.
»Und dann sage ich Freud nur noch, er soll bis zehn zählen und dann Gas geben!« sagte Schraubenschlüssel. »Den Wagen habe ich vorher so hingestellt, daß er in die richtige Richtung fahren wird. Freud wird einfach das Gaspedal durchdrücken - er wird so schnell beschleunigen wie er nur kann. Er wird voll auf irgendwas drauffahren - fast augenblicklich, ganz gleich, in welche Richtung er fährt. Er ist blind!« schrie Schraubenschlüssel begeistert. »Er muß irgendwo drauffahren. Und wenn das geschieht, fliegt die Oper in die Luft. Die Sympathiebombe reagiert.«
»Die Sympathiebombe«, sagte mein Vater ironisch. Sogar Vater verstand die Sache mit der Sympathie.
»Sie hat einen perfekten Platz«, sagte Arbeiter. »Sie ist schon lange dort, deshalb wissen wir auch, daß niemand von ihr weiß. Sie ist sehr groß, aber man kann sie unmöglich finden«, fügte er hinzu.
»Sie befindet sich unter der Bühne«, sagte Arbeiter.
»Sie ist in die Bühne eingebaut«, sagte Schraubenschlüssel.
»Sie ist genau dort, wo sie am Schluß herauskommen und ihre Scheiß Verbeugungen machen!« sagte Arbeiter.
»Natürlich werden nicht alle ums Leben kommen«, sagte Ernst einfach. »Alle auf der Bühne werden sterben, und wahrscheinlich die meisten im Orchester und die meisten der Zuschauer in den ersten paar Sitzreihen. Und für diejenigen, die in sicherer Entfernung von der Bühne sitzen, wird es eine wahrhaft opernhafte Darbietung sein«, sagte Ernst. »Es wird ganz gewiß ein gewaltiges Spektakel geben«, sagte Ernst.
»Schlagobers und Blut«, stichelte Arbeiter mit einem Blick auf Schwanger, aber sie lächelte nur - mit ihrem Revolver.
Lilly erbrach sich. Als Schwanger sich über sie beugte, um sie zu beruhigen, hätte ich vielleicht die Möglichkeit gehabt, ihr den Revolver zu entreißen. Aber ich überlegte zu lange. Arbeiter übernahm den Revolver
Weitere Kostenlose Bücher