Das Hotel New Hampshire
gesagt worden, wir gingen zu einem Ferienhotel, und wenn Hotels so waren, dann wußten wir, daß wir Hotels nicht mochten. Rauhe Grasbüschel hatten sich grob durch den rissigen Lehmboden der Tennisplätze gezwängt, und auf dem Krocket-Rasen wucherte kniehoch - gemessen an meinem Vater - ein gezähntes Sumpfgras wie es oft in der Nähe von Salzwasser zu finden ist. Frank schnitt sich an einem alten Krocket-Tor und fing an zu plärren. Franny bestand darauf, daß Vater sie trug. Ich hängte mich an die Hüfte meiner Mutter. Earl, dem seine Arthritis zu schaffen machte, weigerte sich, auch nur einen Schritt vom Motorrad zu weichen, und kotzte in seinen Maulkorb. Nachdem Vater ihm den Maulkorb abgenommen hatte, fand Earl etwas im Dreck und versuchte es zu fressen; es war ein alter Tennisball, den Vater ihm wegnahm und dann weit wegwarf, in Richtung des Meeres. Verspielt schickte Earl sich an, den Ball zu apportieren; doch dann schien der alte Bär zu vergessen, was er tat, und saß bloß da und blickte mit zusammengekniffenen Augen hinüber zu den Anlegeplätzen. Wahrscheinlich konnte er sie kaum erkennen.
Die zum Hotel gehörenden Landungsstege hingen durch. Das Bootshaus war in einem Hurrikan während des Krieges aufs offene Meer hinausgespült worden. Die Fischer hatten versucht, die alten Piere zur Verankerung ihrer Fischzäune zu verwenden, die unten am Hummerfängerpier bei Bay Point befestigt waren, wo nun ein Junge oder Mann mit einem Gewehr Wache zu stehen schien. Seine Aufgabe sei es, auf Robben zu schießen, mußte Vater erklären, denn die bewaffnete Gestalt in der Ferne erschreckte meine Mutter. Die Robben waren der Hauptgrund, weshalb Fischzäune in Maine nie ein großer Erfolg waren: die Robben durchbrachen den Zaun, stopften sich mit den eingefangenen Fischen voll und brachen dann wieder aus. Da sie auf diese Weise große Mengen an Fisch fraßen und dabei auch noch die Netze zerstörten, schossen die Fischer so viele ab, wie sie nur konnten.
»Freud hätte das ›eines der widerlichen Gesetze der Natur‹ genannt«, sagte Vater. Er bestand darauf, uns die Unterkünfte zu zeigen, in denen er und Mutter ihre Zimmer gehabt hatten.
Es muß für sie beide deprimierend gewesen sein - auf uns Kinder wirkte es nur beunruhigend und fremd -, aber ich glaube, meine Mutter war betroffener von der Reaktion meines Vaters auf den Niedergang des Arbuthnot als vom Schicksal des einst so großen Ferienhotels.
»Der Krieg hat wirklich eine Menge verändert«, sagte Mutter und zeigte uns ihr berühmtes Achselzucken.
»Jessas Gott«, sagte Vater immer wieder. »Stellt euch vor, wie das jetzt aussehen könnte!«, rief er. »Wie haben die das bloß kaputt gekriegt? Sie waren nicht demokratisch genug«, erzählte er uns verwirrten Kindern. »Es müßte doch möglich sein, ein gewisses Niveau zu haben, guten Geschmack zu haben, und trotzdem nicht so exklusiv zu sein, daß man zugrunde geht. Es müßte doch einen annehmbaren Kompromiß geben zwischen einem Arbuthnot und einem Loch wie Hampton Beach. Jessas Gott!« rief er immer wieder aus. »Jessas Gott.«
Wir folgten ihm durch die heruntergekommenen Bauten über die zerzausten und außer Rand und Band geratenen Rasenflächen. Wir fanden den alten Bus, mit dem die Mitglieder der Band gereist waren, und den Lastwagen, den der Gärtner und seine Helfer benutzt hatten - er war voller rostiger Golfschläger. Das waren die Fahrzeuge, die Freud immer repariert und in Schwung gehalten hatte; sie würden nie wieder in Schwung kommen.
»Jessas Gott«, sagte Vater.
Wir hörten Earl nach uns rufen von weit weg.
»Earl!« rief er.
Wir hörten zwei Schüsse aus dem Gewehr, von weit weg - unten am Bay-Point-Pier. Ich glaube, wir wußten alle, daß es keine Robbe war, die da abgeschossen wurde. Es war Earl. »Oh, nein, Win«, sagte meine Mutter. Sie hob mich auf und fing an zu laufen. Frank rannte aufgeregt um sie im Kreis herum. Vater rannte mit Franny auf dem Arm.
»State o' Maine!« schrie er.
»Ich hab einen Bären geschossen!« rief der Junge am Pier. »Ich hab einen ganzen Bären geschossen!« Der Junge trug eine derbe blaue Latzhose und ein weiches Flanellhemd; beide Knie waren durchgewetzt, und sein karottenrotes Haar war borstig und glänzte von der salzigen Gischt; er hatte einen eigenartigen Ausschlag in seinem blassen Gesicht; er hatte sehr schlechte Zähne; er war erst dreizehn oder vierzehn Jahre alt. »Ich hab einen Bären geschossen!« schrie er. Er war schrecklich
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