Das Hotel New Hampshire
aufgeregt, und die Fischer draußen auf dem Meer müssen sich gefragt haben, warum er wohl so brüllte. Sie konnten ihn bei den tuckernden Motoren und dem über die See pfeifenden Wind nicht hören, doch sie steuerten ihre Boote nach und nach dem Pier zu und ließen sich von den Wellen an Land tragen, um nachzusehen, was los war.
Earl lag auf dem Pier, den großen Kopf auf einer Rolle geteerten Tauwerks, die Hinterpfoten gekrümmt an den Leib gepreßt, eine der schweren Vorderpfoten nur Zentimeter von einem Eimer mit Köderfischen entfernt. Der Bär hatte schon so lange schlechte Augen, daß er in dem Jungen mit dem Gewehr offenbar Vater mit einer Angel gesehen hatte. Vielleicht erinnerte er sich sogar, undeutlich, an all die Steinköhler, die er einst an diesem Pier zu fressen bekommen hatte. Und als er dort hinunter und in die Nähe des Jungen kam, war die Nase des alten Bären immer noch gut genug, die Köderfische zu riechen. Der Junge, der auf dem Meer nach Robben Ausschau gehalten hatte, war zweifellos erschrocken, als der Bär ihn auf seine Weise begrüßte. Er war ein guter Schütze, doch auf die Entfernung hätte auch ein schlechter Schütze Earl getroffen; der Junge schoß dem Bären zweimal ins Herz.
»Herrje, ich wußte doch nicht, daß er jemand gehört«, sagte der Junge mit dem Gewehr zu meiner Mutter. »Ich wußte doch nicht, daß er zahm war.«
»Aber nein, natürlich nicht«, beruhigte ihn meine Mutter.
»Tut mir leid, Mister«, sagte der Junge zu Vater, aber Vater hörte ihn nicht. Er setzte sich neben Earl auf den Boden und nahm den Kopf des toten Bären auf seinen Schoß; er drückte Earls altes Gesicht an sich und weinte und weinte. Er weinte natürlich nicht nur um Earl. Er weinte um das Arbuthnot und Freud und den Sommer 39; doch wir waren sehr bekümmert, wir Kinder - denn damals hatten wir Earl länger und im Grunde genommen besser gekannt als unseren Vater. Es war sehr verwirrend für uns - warum dieser Mann, von Harvard zurückgekehrt und vom Krieg zurückgekehrt, in Tränen aufgelöst dasaß und unseren alten Bären umarmte. Wir waren - alle zusammen - eigentlich zu jung, als daß wir Earl hätten kennen können, aber seine Erscheinung - sein Fell, das sich so steif anfühlte, die Hitze seines herben sumpfigen Atems, sein Geruch nach toten Geranien und Urin - all das war stärker in unserer Erinnerung als der verblichene Latein-Emeritus zum Beispiel und die Mutter meiner Mutter.
Ich erinnere mich wirklich genau an diesen Tag am Pier unterhalb des zerfallenen Arbuthnot. Ich war vier, und ich glaube ganz ehrlich, daß das meine erste Erinnerung an das Leben selbst ist - im Gegensatz zu dem, was mir erzählt worden ist, im Gegensatz zu den Bildern, die andere Leute für mich gemalt haben. Der Mann mit dem kräftigen Körper und dem Gesicht eines Gentleman war mein Vater, der gekommen war, um mit uns zusammenzuleben; nun saß er mit Earl in den Armen schluchzend da - auf einem faulenden Landungssteg, über gefährlichem Wasser. Kleine Boote kamen angetuckert. Meine Mutter drückte uns an sich, so fest, wie Vater Earl umklammert hielt.
»Ich glaube, der dumme Junge hat den Hund von jemand erschossen«, sagte ein Mann in einem der Boote.
Die Leiter herauf kam ein alter Fischer in schmutziggelbem Ölzeug, sein Gesicht ein fleckiges Braun unter einem schmutzigweiß gesprenkelten Bart. Seine nassen Stiefel schwappten, und er roch stärker nach Fisch als der Eimer voll Köder neben Earls geknickter Pfote. Er war mehr als alt genug, um in der Gegend gewesen zu sein, als das Arbuthnot-by-the-Sea das Grand Hotel von früher war. Auch der Fischer hatte einmal bessere Tage gesehen.
Als dieser alte Mann den toten Bären sah, nahm er seinen breitkrempigen Südwester ab und hielt ihn in seiner Hand, die so groß und hart war wie ein Fischhaken. »Heiliger Strohsack«, sagte er ehrfürchtig und legte dem sichtlich mitgenommenen Jungen mit dem Gewehr einen Arm um die Schulter. »Heiliger Strohsack. Du hast State o' Maine getötet.«
2.
Das erste Hotel New Hampshire
Das erste Hotel New Hampshire kam so zustande: Als die Leute von der Dairy School einsahen, daß künftig auch Mädchen aufgenommen werden mußten, wenn die Schule überleben sollte, war es um das Thompson Female Seminary geschehen; plötzlich hatte Dairys immer flauer Immobilienmarkt ein großes unbrauchbares Objekt anzubieten. Kein Mensch wußte, was aus dem riesigen Gebäude werden sollte, das einmal eine reine Mädchenschule gewesen
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