Das Hotel New Hampshire
das nie.
»Ich nehme stark an, er wußte, daß ich ein Mädchen werden würde«, sagte Franny gern.
Erst im Sommer 41 kam Vater nach Dairy zurück; und sofort war meine Mutter wieder schwanger, diesmal mit mir.
Er versprach ihr, er würde sie nicht wieder verlassen müssen; nach einem erfolgreichen Zirkusauftritt in Miami hatte er genügend Geld, um im Herbst an der Harvard University beginnen zu können. Sie hatten einen sorglosen Sommer vor sich und brauchten nur gelegentlich in Hampton Beach aufzutreten, wenn sie Lust dazu hatten. Er würde mit dem Bostoner Zug als Pendler zu seinen Vorlesungen fahren, es sei denn, er fand eine billige Bleibe in Cambridge.
Earl wurde von Minute zu Minute älter. Eine blaßblaue Salbe, die sich anfühlte wie das dünne Häutchen, das Quallen umhüllt, mußte ihm jeden Tag in die Augen gegeben werden; Earl wurde sie wieder los, indem er sich an den Polstermöbeln rieb. Meine Mutter bemerkte überall an seinem Körper einen alarmierenden Haarausfall, und er schien zu schrumpfen und faltiger zu werden. »Seine Muskeln haben ihre Spannkraft verloren«, stellte Coach Bob besorgt fest. »Er sollte mit Gewichten arbeiten oder Waldläufe machen.«
»Versuch mal, ihm mit der Indian wegzufahren«, sagte mein Vater zu seinem Vater. »Dann läuft er schon.« Aber als Coach Bob einen Versuch machte, konnte er glatt wegfahren. Earl lief ihm nicht nach; es war ihm egal.
»Bei Earl«, sagte Vater, »stimmt der alte Spruch, daß man verachtet, wen man zu gut kennt.« Er hatte lange und hart genug mit Earl gearbeitet, um zu verstehen, wieso Freud dem Bären gegenüber die Geduld verloren hatte.
Meine Mutter und mein Vater redeten fast nie von Freud; bei dem »Krieg in Europa« konnten sie sich nur zu leicht ausmalen, was ihm alles geschehen sein konnte.
In den Läden am Harvard Square gab es Wilsons ›That's All‹, Roggenwhisky, sehr billig, aber mein Vater war kein Trinker. Im Oxford Grill in Cambridge schenkten sie Faßbier in einem großen Glas aus, das die Form eines Kognakschwenkers hatte und fast vier Liter faßte. Wenn man das in einem bestimmten Zeitraum leertrank, bekam man das nächste Glas umsonst. Doch Vater trank dort, wenn er eine Woche Vorlesungen hinter sich hatte, ein normales Glas Bier und beeilte sich dann, zum Nordbahnhof zu kommen, um den Zug nach Dairy zu erwischen.
Er zog sein Studium so rasch wie möglich durch, um früher fertig zu werden; daß er das schaffte, lag nicht etwa daran, daß er klüger gewesen wäre als die anderen HarvardJungs (er war wohl älter als die meisten, aber nicht klüger), sondern daran, daß er wenig Zeit mit Freunden verbrachte. Er hatte eine schwangere Frau und zwei kleine Kinder zu Hause; da blieb kaum Zeit für Freunde. Ausgespannt, sagte er, habe er nur, wenn im Radio die Baseballspiele der Profis übertragen wurden. Nur wenige Wochen nach Abschluß der Endrunde hörte Vater im Radio die Nachricht vom Überfall auf Pearl Harbor.
Ich wurde im März 1942 geboren und bekam den Namen John - nach John Harvard. (Franny nannten sie Franny, weil das irgendwie zu Frank paßte.) Meine Mutter war nicht nur damit beschäftigt, uns zu versorgen; sie war auch damit beschäftigt, den alten Latein-Emeritus zu versorgen und sich, zusammen mit Coach Bob, um den bejahrten Earl zu kümmern; auch ihr blieb keine Zeit für Freunde.
Als der Sommer 1942 zu Ende ging, war der Krieg wirklich für jedermann spürbar; es war nicht mehr nur »der Krieg in Europa«. Und obwohl die 37er Indian nur wenig Benzin verbrauchte, wurde sie degradiert zu einer Behausung für Earl und nicht mehr als Transportmittel eingesetzt. Wie eine Manie erfaßte der Patriotismus die Universitäten überall im Land. Für Studenten gab es Zuckermarken, die die meisten an ihre Familien weitergaben. In nur drei Monaten waren Vaters sämtliche Bekannte an der Harvard University entweder eingezogen oder hatten sich freiwillig für irgendwelche Ausbildungen gemeldet. Als Latein-Emeritus starb - und ihm die Mutter meiner Mutter, im Schlaf, rasch folgte -, trat meine Mutter eine bescheidene Erbschaft an. Mein Vater sorgte von sich aus dafür, daß seine Einberufung vorverlegt wurde, und meldete sich im Frühjahr 1943 zur Grundausbildung; er war dreiundzwanzig.
Er ließ Frank, Franny und mich mit Mutter im Batesschen Haus zurück; und er ließ seinen Vater, Iowa-Bob, zurück, dem er die ermüdende Pflege Earls anvertraut hatte.
Mein Vater schrieb nach Hause, die Grundausbildung sei eine
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