Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
machten geltend, für die amerikanische Entdeckung des Wodkas verantwortlich zu sein; niemand mixte Wodka - man trank ihn nach russischer Art, kalt und pur aus kleinen Stielgläsern - doch mein Vater blieb beim Bier und wechselte sein Hauptfach. Von nun an studierte er Englische Literatur, ein weiterer Versuch, sein Studium schneller zum Abschluß zu bringen.
    Es waren nicht mehr viele Big Bands im Geschäft. Das Tanzen als Sport und Freizeitvergnügen verlor an Bedeutung. Und Earl war so altersschwach, daß er nicht mehr auftreten konnte; in der Weihnachtszeit nach seiner Entlassung aus der Air Force arbeitete Vater bei Jordan Marsh in der Spielzeugabteilung, und er sorgte - wieder einmal - dafür, daß meine Mutter schwanger wurde. Diesmal war es Lilly. So konkret die Gründe waren, Frank Frank und Franny Franny und mich John zu nennen, so wenig gab es einen besonderen Grund, Lilly Lilly zu nennen - eine Tatsache, die Lilly plagen sollte, vielleicht mehr, als wir ahnten; möglicherweise ihr ganzes Leben lang.
    Vater gehörte zu den Harvard-Studenten, die 1946 ihren Abschluß machten. Die Dairy School hatte gerade erst einen neuen Rektor eingestellt, und der führte nun im Harvard Faculty Club mit meinem Vater ein Gespräch und bot ihm eine Stelle an: er sollte Englisch unterrichten und zwei Sportarten als Coach betreuen - für ein Jahresgehalt von zweitausendeinhundert Dollars. Wahrscheinlich hatte Coach Bob dem neuen Rektor den Tip gegeben. Mein Vater war sechsundzwanzig: er nahm die Stellung an der Dairy School an, auch wenn er sich dort nicht für den Rest seines Lebens sah. Aber das bedeutete immerhin, daß er nun endlich mit meiner Mutter und mit uns Kindern zusammen im Haus der Familie Bates in Dairy wohnen konnte, nahe bei seinem Vater und bei Earl, seinem betagten Bären. In dieser Lebensphase waren Vater seine Träume sichtlich wichtiger als sein berufliches Fortkommen, vielleicht auch wichtiger als wir Kinder und eindeutig wichtiger als der Zweite Weltkrieg. (»In allen Lebensphasen«, sagte Franny oft.)
    Lilly wurde 1946 geboren, als Frank sechs, Franny fünf und ich vier Jahre alt war. Wir hatten plötzlich einen Vater - zum ersten Mal eigentlich; bisher war er entweder im Krieg, auf der Universität oder mit Earl auf Tournee gewesen, unser Leben lang. Er war ein Fremder für uns.
    Das erste, was er mit uns unternahm, im Herbst 1946, war ein Ausflug nach Maine, wo wir noch nie gewesen waren und wo er mit uns das Arbuthnot-by-the-Sea besuchen wollte. Natürlich war es für meinen Vater und meine Mutter eine romantische Wallfahrt zur Erinnerung an die alten Zeiten. Lilly war zum Reisen noch zu jung, und Earl war zu alt, doch Vater bestand darauf, daß Earl mitkam.
    »Das Arbuthnot ist, weiß Gott, auch für ihn ein besonderer Ort«, sagte Vater zu Mutter. »Es wäre nicht dasselbe - ein Besuch im Arbuthnot ohne den alten State o' Maine.«
    Lilly blieb also zuhause mit Coach Bob, und Mutter fuhr das 1940er Chevy-Coupe mit Frank, Franny und mir, einem großen gut gefüllten Picknickkorb und einem Berg wollener Decken. Vater brachte noch einmal die 37er Indian in Schwung und fuhr sie, mit Earl im Beiwagen. So ging es dann - unglaublich langsam - auf der kurvenreichen Küstenstraße nach Norden, viele Jahre bevor sie dort eine Schnellstraße bauten. Stunden vergingen, ehe wir Brunswick erreichten, und nach einer weiteren Stunde hatten wir Bath hinter uns. Und dann sahen wir die rauhe, bewegte, blutergußfarbene See, wo der Kennebec ins Meer mündet, Fort Popham und die Fischerhütten am Bay Point - und die Kette, die die Zufahrt zum Arbuthnot versperrte. Das Schild verkündete:
     
    Diesen Sommer geschlossen
     
    Das Arbuthnot war seit vielen Sommern geschlossen. Vater muß das gleich klargeworden sein, nachdem er die Kette ausgeklinkt hatte und unsere Karawane den Weg zu dem alten Hotel hinauffuhr. Farblos wie sonnengeblichene Knochen standen die verlassenen mit Brettern vernagelten Gebäude da; jedes sichtbare Fenster war eingeschlagen oder herausgeschossen worden. Die verblichene Fahne für das achtzehnte Grün war in eine Ritze gestoßen worden, zwischen zwei Bodendielen der überhängenden Veranda beim Ballsaal; die Fahne hing schlaff vom Arbuthnot-by-the-Sea, wie zum Zeichen dafür, daß hier ein Schloß nach einer Belagerung im Sturm genommen worden war.
    »Jessas Gott«, sagte Vater. Wir Kinder drängten uns um unsere Mutter und jammerten. Es war kalt; es war neblig; der Ort machte uns Angst. Uns war

Weitere Kostenlose Bücher