Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
noch mehr.
    »›Fort‹ wohin?« fragte Frank.
    »Wer geht fort?« fragte Lilly.
    »Nun laß mal«, sagte Mutter. »Keiner geht fort, wir könnten uns eine andere Schule gar nicht leisten. Wenn es einen Vorteil bringt, im Lehrkörper der Dairy School zu sein, dann den, daß wenigstens unsere Kinder dort umsonst zur Schule gehen können.«
    »Eine Schule, die nichts taugt«, sagte Vater.
    »Sie ist besser als der Durchschnitt«, sagte Mutter.
    »Hör zu«, sagte Vater, »wir werden Geld machen.«
    Das war uns neu; Franny und ich machten keinen Muckser.
    Frank machte diese Aussicht offenbar nervös. »Darf ich gehen?« fragte er.
    »Natürlich, mein Junge«, sagte Mutter. »Und wie werden wir Geld machen?« fragte sie Vater.
    »Bei Gott, mir mußt du das erklären«, sagte Coach Bob. »Ich bin derjenige, der in den Ruhestand will.«
    »Dann hört mal gut zu«, sagte Vater. Wir hörten gut zu. »Diese Schule taugt vielleicht nichts, aber sie wird wachsen; sie wird Mädchen aufnehmen, wie ihr wißt. Und selbst wenn sie nicht wächst: eingehen wird sie auf keinen Fall; dazu ist sie schon zu lange hier. Ihre treibende Kraft ist allein der Wunsch zu überleben, und sie wird überleben. Sie wird nie eine gute Schule sein; sie wird so viele Phasen durchlaufen, daß wir sie zeitweise nicht wiedererkennen werden, aber sie wird immer weitermachen - darauf könnt ihr euch verlassen.«
    »Na und?« sagte Iowa-Bob.
    »Es wird hier also weiterhin eine Schule geben«, sagte Vater. »Es wird in diesem Drecknest auch weiterhin eine Privatschule geben«, sagte er, »und das Thompson Female Seminary wird es nicht mehr geben, denn nun werden die Mädchen im Ort auf die Dairy School gehen.«
    »Das weiß doch jeder«, sagte Mutter.
    »Darf ich gehen?« fragte Lilly.
    »Ja, ja«, sagte Vater. »Hört mal«, sagte er zu Mutter und Bob, »seht ihr es immer noch nicht?« Franny und ich sahen überhaupt nichts - bloß Frank, der draußen im Gang vorbeischlich. »Was wird wohl aus diesem alten Gebäude, dem Thompson Female Seminary?« fragte Vater. Und das war der Augenblick, in dem Mutter vorschlug, sie sollten es abbrennen. Bob schlug vor, das Bezirksgefängnis darin unterzubringen.
    »Groß genug ist es«, sagte er. Das hatte jemand bei der Bürgerversammlung vorgebracht.
    »Kein Mensch will hier ein Gefängnis haben«, sagte Vater. »Jedenfalls nicht mitten im Ort.«
    »Es sieht jetzt schon wie ein Gefängnis aus«, sagte Mutter.
    »Bloß noch ein paar zusätzliche Fenstergitter«, meinte Iowa-Bob.
    »Jetzt hört doch mal zu«, sagte Vater ungeduldig. Franny und ich erstarrten gleichzeitig; Frank lauerte vor meiner Tür - Lilly hörte man ganz in der Nähe pfeifen. »Wißt ihr, was diese Stadt braucht?« sagte Vater. »Diese Stadt braucht ein Hotel.«
    Vom Tisch im Eßzimmer kam kein Laut. Ein »Hotel«, das war für Franny und mich, wie wir da in meinem Bett lagen, das, was den alten Earl umgebracht hatte. Ein Hotel war ein ödes, zugrunde gerichtetes Gelände, das nach Fisch stank und von einem Gewehr bewacht wurde.
    »Warum ein Hotel?« sagte Mutter schließlich. »Du nennst doch Dairy dauernd ein Drecknest - wer kommt schon freiwillig hierher?«
    »Vielleicht nicht freiwillig«, sagte Vater, »aber weil sie müssen. Ich rede von den Eltern dieser Dairy-Schüler«, sagte er. »Die besuchen doch ihre Kinder, oder vielleicht nicht? Und weißt du, was? Es werden immer reichere Eltern sein, denn das Schulgeld wird immer weiter in die Höhe gehen, und es wird keine Stipendiaten mehr geben - es werden nur noch reiche Kinder herkommen. Und wer heute sein Kind hier besucht, kann nirgends in der Stadt übernachten. Er muß an die Küste fahren, wo all die Motels sind, oder er muß noch weiter weg, Richtung Berge - doch hier, hier am Ort, gibt es nichts, absolut nichts.«
    Das war sein Plan. Irgendwie, obwohl sich die Dairy School kaum genügend Hausmeister leisten konnte, glaubte Vater, sie würde genügend Gäste anziehen für ein Hotel in der Stadt Dairy - daß die Stadt nichts Ganzes und nichts Halbes war und daß noch niemand im Traum daran gedacht hatte, die Möglichkeit zum Verweilen in dieser Stadt zu schaffen, störte meinen Vater nicht. In New Hampshire fuhren die Sommergäste an die Küste - die war eine halbe Stunde entfernt. Eine Stunde war es bis zu den Bergen, wo die Skiläufer hinfuhren und wo es Seen für den Sommer gab. Doch Dairy, das hieß Flachland: Binnenland, aber nicht Hochland. Es lag nahe genug an der Küste, um die

Weitere Kostenlose Bücher