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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gegen den Tisch, als er versuchte, die beiden darunter hervorzuzerren, um sie zu trennen. Coach Bob kroch von der anderen Seite unter den Tisch.
    »Scheiße!« sagte Vater.
    Ich spürte etwas Warmes an meiner Hüfte beim Treppengeländer; es war Lilly, die unter ihrem Leintuch hervorlugte.
    »Du Rattenarsch, Frank!« brüllte Franny.
    Dann erwischte Frank Frannys Haare und zog so heftig daran, daß ihr Kopf gegen das Tischbein krachte; auch wenn ich selber keine Brüste hatte, tat es mir doch körperlich weh, wie Frank seine Knöchel in Frannys Brust bohrte. Sie mußte ihre Kopfzange lockern, und er schlug ihren Kopf noch zweimal gegen das Tischbein und wickelte ihre Haare immer fester um seine Faust, ehe Coach Bob drei ihrer vier Beine mit seinen gewaltigen Händen zu fassen bekam und sie unter dem Tisch hervorzerrte. Franny schlug mit ihrem freien Bein um sich und landete einen guten Treffer an Bobs Nase, doch der Footballveteran aus Iowa ließ sich nicht abschütteln. Franny heulte jetzt, aber sie stemmte sich mit aller Kraft gegen die an ihren Haaren zerrende Hand und schaffte es, Frank in die Wange zu beißen. Frank packte eine ihrer Brüste und drückte sie offenbar heftig zusammen, denn Frannys Mund gab Franks Wange frei, und ein hoffnungsloses Wimmern brach aus ihr heraus. Es war ein so schrecklicher, gebrochener Laut, daß Lilly mit ihrem Leintuch zurück in mein Zimmer rannte. Vater schlug Franks Hand von Frannys Brust, und Coach Bob nahm Franny in den Schwitzkasten, damit sie Frank nicht mehr beißen konnte. Aber Franny hatte eine Hand frei und ging auf Franks Schamteile los; ganz gleich, ob man einen Blechschutz, ein Suspensorium oder überhaupt nichts anhatte - wenn's um die Wurst ging, erwischte einen Franny immer an den Schamteilen. Plötzlich war Frank ein Haufen wild zuckender Arme und Beine, und er fing an so qualvoll zu stöhnen, daß es mich kalt überlief. Vater gab Franny eine Ohrfeige, aber sie ließ nicht los; er mußte ihr die Finger einzeln aufbiegen. Coach Bob zog Frank von ihr weg, aber Franny trat mit ihrem langen Bein noch einmal nach ihm, und Vater war gezwungen, sie hart auf den Mund zu schlagen. Dann war Schluß.
    Vater saß auf dem Teppich im Eßzimmer, drückte den Kopf der weinenden Franny an seine Brust und wiegte sie in seinen Armen. »Franny, Franny«, redete er leise auf sie ein. »Warum muß dir jeder erst weh tun, ehe du aufgibst?«
    »Sachte, Junge, schön sachte atmen«, sagte Coach Bob zu Frank, der auf der Seite lag, die Knie an die Brust gepreßt, das Gesicht so grau wie das Grau der Dairy School; der alte Iowa-Bob wußte, wie man jemandem Trost zusprach, den ein Schlag in die Eier gefällt hatte. »Fühlst dich ziemlich elend, stimmt's?« erkundigte sich Coach Bob behutsam. »Schön sachte atmen, möglichst nicht bewegen. Es vergeht von selber.«
    Mutter räumte den Tisch ab, stellte die umgestürzten Stühle wieder hin; ihre entschiedene Mißbilligung der Gewalttätigkeiten in ihrer Familie spiegelte sich in ihrem Gesicht als erzwungenes Schweigen, bitter und verletzt und voller Angst.
    »Versuch jetzt mal tiefer zu atmen«, riet Coach Bob; Frank versuchte es und hustete. »Okay«, sagte Iowa-Bob. »Bleib noch ein bißchen beim vorsichtigen Atmen.« Frank stöhnte.
    Vater untersuchte Frannys Unterlippe, während ihr die Tränen übers Gesicht strömten und ihr Schluchzen sich so erstickt anhörte, als werde es schon im Hals abgewürgt. »Ich fürchte, da werden ein paar Stiche nötig sein, mein Schatz«, sagte er, aber Franny schüttelte zornig den Kopf. Vater nahm ihren Kopf fest zwischen seine Hände und drückte ihr einen Kuß zwischen die Augen, und dann noch einen. »Es tut mir so leid, Franny«, sagte er, »aber was soll ich nur mit dir machen, was soll ich machen?«
    »Ich brauche keine Stiche«, klagte Franny. »Keine Stiche. Nichts zu machen.«
    Doch ein kleiner Fetzen ihrer Unterlippe hing herab, und Vater mußte seine offene Hand unter Frannys Kinn halten, um ihr Blut aufzufangen. Mutter brachte einen Waschlappen voll Eis.
    Ich ging zurück auf mein Zimmer und lockte Lilly aus meinem Schrank heraus; sie wollte bei mir bleiben, und ich ließ sie. Sie schlief gleich ein, aber ich lag wach im Bett und überlegte mir, daß nur jemand »Hotel« zu sagen brauchte, und schon gab es Blut und plötzlichen Kummer. Vater und Mutter fuhren Franny zur Krankenstation der Dairy School, wo jemand ihre Lippe zusammenflicken würde; niemand würde Vater einen Vorwurf machen -

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