Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
feuchte Meeresluft abzubekommen, aber nicht nahe genug, um auch nur im geringsten von der Frische des Meeres zu profitieren. Die erfrischenden Brisen vom Meer her und von den Bergen herunter konnten gegen den dumpfen Dunstschleier, der über dem Tal des Squamscott hing, nichts ausrichten, und Dairy lag nun mal an diesem Fluß - wo im Winter eine durchdringende feuchte Kälte herrschte, und den ganzen Sommer über eine dampfende Schwüle. Keines der Bilderbuchdörfer Neuenglands, sondern eine Fabriksiedlung an einem verschmutzten Fluß - und dazuhin war die Fabrik nun so verlassen und so häßlich wie das Thompson Female Seminary. Es war ein Ort, dessen Hoffnungen einzig und allein an der Dairy School hingen, ein Ort, wo niemand freiwillig hinwollte.
    »Wenn es hier aber ein Hotel gäbe«, sagte Vater, »würden die Leute da übernachten.«
    »Aber das Thompson Female Seminary würde ein gräßliches Hotel«, sagte Mutter. »Es würde immer das bleiben, was es ist: ein altes Schulhaus.«
    »Ist dir klar, wie billig man es kaufen könnte?« sagte Vater.
    »Ist dir klar, wieviel man hineinstecken müßte, um es herzurichten?« fragte Mutter.
    »Was für eine deprimierende Idee!« stöhnte Coach Bob.
    Franny begann, meine Arme festzuhalten und sie nach unten zu drücken; mit der Methode griff sie meistens an - irgendwie fesselte sie meine Arme, und dann kitzelte sie mich, indem sie mir ihr Kinn in die Rippen oder in die Achselhöhle bohrte, oder sie biß mich in den Hals (nur gerade so stark, daß ich still liegenblieb). Unsere Beine kämpften unter der Decke und strampelten sich frei - wer den anderen in die Beinschere nehmen konnte, hatte erst mal einen Vorteil -, als Lilly auf ihre seltsame Art ins Zimmer kam, unter einem Leintuch, auf allen vieren.
    »Du kleines Ekel«, sagte Franny zu ihr.
    »Es tut mir leid, daß ihr Ärger gehabt habt«, sagte Lilly unter dem Leintuch. Lilly entschuldigte sich immer so, wenn sie uns angeschwärzt hatte: sie verhüllte sich völlig mit einem Tuch und kroch auf allen vieren in unsere Zimmer. »Ich hab euch was mitgebracht«, sagte Lilly.
    »Was zum Essen?« fragte Franny. Ich zog Lilly das Leintuch weg, und Franny nahm ihr eine Papiertüte ab, die Lilly zwischen die Zähne geklemmt hatte, um sie zu uns zu bringen. In der Tüte waren zwei Bananen und zwei warme Brötchen vom Abendessen. »Nichts zu trinken?« fragte Franny. Lilly schüttelte den Kopf.
    »Komm schon, steig ein«, sagte ich zu ihr, und Lilly kroch ins Bett zu Franny und mir.
    »Wir ziehen in ein Hotel«, sagte Lilly.
    »Nicht ganz«, sagte Franny.
    Doch unten im Eßzimmer schienen sie inzwischen von etwas anderem zu reden. Coach Bob war meinem Vater wieder einmal böse - offenbar wegen derselben alten Geschichte: weil er nie zufrieden war, wie Bob es ausdrückte, weil er in der Zukunft lebte. Weil er dauernd Pläne machte für das nächste Jahr, anstatt einfach zu leben, von Augenblick zu Augenblick.
    »Er kann doch nicht anders«, sagte meine Mutter; sie nahm meinen Vater immer in Schutz gegen Coach Bob.
    »Du hast eine wunderbare Frau und eine wunderbare Familie«, hielt Iowa-Bob meinem Vater vor. »Du hast dieses große alte Haus - geerbt! Es hat dich nicht mal Geld gekostet! Du hast einen Job. Sicher, die Bezahlung ist nicht besonders, aber was soll's - wozu brauchst du Geld? Du bist ein Glückspilz.«
    »Ich möchte kein Lehrer sein«, sagte Vater ruhig, und das hieß, daß er wieder wütend war. »Ich möchte kein Coach sein. Ich möchte nicht, daß meine Kinder auf eine so erbärmliche Schule gehen. Das ist ein Kuhnest, mit einer sich mühsam über die Runden quälenden Schule voller reicher Problemkinder; wenn ihre Eltern sie hierherschicken, dann ist das ein verzweifelter Versuch, ihre ohnehin schon fortgeschrittene Blasiertheit zu bremsen -  Amok laufende Blasiertheit auf Seiten der Schüler, Amok laufende Kuhstallmentalität auf Seiten der Schule und der Stadt. Die schlimmsten Auswüchse beider Welten.«
    »Wenn du nur jetzt mehr Zeit für die Kinder aufbrächtest«, sagte Mutter ruhig, »anstatt dir dauernd Gedanken zu machen, was in ein paar Jahren mit ihnen allen sein wird.«
    »Schon wieder die Zukunft!« sagte Iowa-Bob. »Er lebt in der Zukunft! Erst kam das ewige Herumreisen - alles nur, damit er Harvard besuchen konnte. Das klappte dann auch, aber alles mußte möglichst schnell gehen - er wollte es hinter sich bringen. Wofür? Für diesen Job, über den er sich seither nur noch beschwert hat. Warum

Weitere Kostenlose Bücher