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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Mutter sagte: »Das weiß ich. Und ich liebe dich auch.« Da wußte ich, daß auch sie müde war.
    »Laß uns einen kleinen Spaziergang machen«, sagte Vater.
    »Ich möchte die Kinder nicht allein lassen«, antwortete Mutter, aber ich wußte, das war kein Argument; Franny und ich konnten sehr gut auf Lilly und Egg aufpassen, und Frank paßte auf sich selber auf.
    »Es dauert keine Viertelstunde«, sagte Vater. »Wir gehen einfach mal rauf und sehen es uns an.«
    »Es« war natürlich das Thompson Female Seminary - dieses Monster von einem Schulhaus, das Vater in ein Hotel verwandeln wollte.
    »Ich bin dort zur Schule gegangen«, sagte Mutter. »Ich kenne das Gebäude besser als du; ich will es mir nicht ansehen.«
    »Früher bist du gern nachts spazierengegangen mit mir«, sagte Vater, und das Lachen meiner Mutter, das nur ein klein wenig spöttisch war, sagte mir, daß sie ihm wieder ihr Achselzucken zeigte.
    Es war jetzt still unten; ich war mir nicht sicher, ob sie sich küßten oder ihre Jacken anzogen - die Herbstnächte waren feucht und kühl -, und dann hörte ich Mutter sagen: »Ich glaube, du hast nicht die geringste Ahnung, wieviel Geld du in dieses Gebäude stecken mußt, damit es auch nur annähernd wie ein Hotel aussieht, in dem auch nur ein Mensch freiwillig übernachten würde.«
    »Es muß ja nicht unbedingt freiwillig sein«, sagte Vater. »Vergiß nicht: es wird das einzige Hotel am Ort sein.«
    »Aber woher soll das Geld kommen?« fragte Mutter.
    »Komm, Kummer«, sagte Vater, und ich wußte, daß sie auf dem Weg zur Tür waren. »Komm schon, Kummer. Jetzt kannst du die ganze Stadt verpesten«, sagte Vater. Mutter lachte wieder.
    »Gib mir eine Antwort«, sagte sie, aber jetzt war sie es, die kokettierte; Vater hatte sie bereits überzeugt, irgendwo, irgendwann - vielleicht während Franny sich die Lippe zusammenflicken ließ (in stoischer Haltung, da war ich sicher: ohne eine Träne). »Woher soll das Geld kommen?« fragte ihn Mutter.
    »Du weißt schon«, sagte er und machte die Tür zu. Ich hörte Kummer, der die Nacht - und alles in ihr oder überhaupt nichts Bestimmtes - anbellte.
    Und ich wußte: wenn eine weiße Schaluppe am Vorbau und an den Spalieren des alten Batesschen Hauses angelegt hätte, meine Mutter und mein Vater wären nicht überrascht gewesen. Wäre der Mann in der weißen Smokingjacke, der Eigentümer des einstmals exotischen Arbuthnot-by-the-Sea, erschienen, um sie zu begrüßen, sie hätten nicht mit der Wimper gezuckt. Wäre er dagewesen - eine Zigarette in der Hand, von der Sonne gebräunt, eine tadellose Erscheinung - und hätte zu ihnen gesagt: »Willkommen an Bord!« - sie wären auf der Stelle mit der weißen Schaluppe in See gestochen.
    Und als sie die Pine Street hinauf zum Elliot Park gingen und nach der letzten Häuserreihe, wo die Witwen und Witwer wohnten, einbogen, da muß das erbärmliche Thompson Female Seminary für sie in der Nacht geleuchtet haben wie ein Schloß oder eine Villa, wo für die Reichen und Berühmten ein rauschendes Fest gegeben wurde - obwohl dort nirgends ein Licht an sein konnte, und wenn noch irgendwo eine Menschenseele auf war, dann höchstens der alte Polizist in seinem Streifenwagen, der im Abstand von ungefähr einer Stunde hier aufkreuzte, um die Teenager aufzuscheuchen, die zum Knutschen herkamen. Es gab im Elliot Park nur eine einzige Straßenlaterne; Franny und ich gingen nach Einbruch der Dunkelheit nie barfuß durch den Park, aus Angst, in Scherben von Bierflaschen zu treten - oder in gebrauchte Präservative.
    Wie muß dagegen das Bild ausgesehen haben, das Vater entwarf! Wie muß er Mutter an den Stümpfen der längst abgestorbenen Ulmen vorbeigeführt haben - die Glasscherben unter ihren Schuhsohlen müssen für sie geknirscht haben wie Kieselsteine an einem teuren Strand - und er muß gesagt haben: »Siehst du's nicht vor dir? Ein Hotel als Familienbetrieb! Wir hätten es die meiste Zeit ganz für uns. Bei den enormen Umsätzen an den großen Schulwochenenden brauchten wir nicht einmal Reklame zu machen - oder jedenfalls nicht viel. Unter der Woche wären nur das Restaurant und die Bar offen, um die Geschäftsleute anzulocken - alles gute Esser und Cocktailtrinker.«
    »Geschäftsleute?« könnte meine Mutter laut gedacht haben. »Was denn für Esser und Cocktailtrinker?«
    Aber auch als Kummer die Teenager unter einem Gebüsch hervorspülte, selbst als der Streifenwagen anhielt und Vater und Mutter aufforderte, sich

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