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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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auszuweisen, muß mein Vater überzeugend geklungen haben. »Ach du bist's, Win Berry«, muß der Polizist gesagt haben. Der alte Howard Tuck fuhr die Nachtstreife; er war ein Trottel und stank nach Zigarren, die er in Bierpfützen ausdrückte. Kummer muß ihn angeknurrt haben: hier war eine Duftnote, die mit dem sehr differenzierten Geruch des Hundes in Widerstreit geriet. »Der arme Bob hat eine schwere Saison«, sagte Howard Tuck wahrscheinlich, denn jeder wußte, daß mein Vater Iowa-Bobs Sohn war; Vater hatte als Ersatzmann für den Spielmacher in einer von Coach Bobs alten Dairy-Mannschaften gespielt - damals, als diese noch gewannen.
    »Schon wieder eine schwere Saison«, muß Vater gewitzelt haben.
    »Was macht ihr eigentlich hier?« muß der alte Howard Tuck sie gefragt haben.
    Und mein Vater sagte zweifellos: »Na schön, Howard, nur weil du's bist: wir kaufen das Ding hier.«
    »Ehrlich?«
    »Und ob«, sagte Vater wohl. »Wir machen ein Hotel daraus.«
    »Ein Hotel?«
    »Ganz richtig«, sagte Vater wohl. »Und ein Restaurant mit einer Bar, für all die Esser und Cocktailtrinker.«
    »Die Esser und Cocktailtrinker«, muß Howard Tuck wiederholt haben.
    »Du hast es begriffen, das feinste Hotel in New Hampshire!«
    »Heiliger Strohsack«, kann da der Polizist nur noch geantwortet haben.
    Jedenfalls war es Howard Tuck auf seiner nächtlichen Streife, der meinen Vater fragte: »Wie willste's denn nennen?«
    Vergessen wir nicht: es war Nacht, und die Nacht inspirierte meinen Vater. Er hatte Freud und seinen Bären erstmals bei Nacht gesehen; er war mit State o' Maine bei Nacht angeln gewesen; der Mann in der weißen Smokingjacke war das einzige Mal bei Nacht erschienen; es war nach Einbruch der Dunkelheit, als der Deutsche und seine Blaskapelle das Arbuthnot anliefen, um ein wenig Blut zu vergießen; es muß dunkel gewesen sein, als mein Vater und meine Mutter das erste Mal miteinander schliefen; und Freuds Europa lag nun in totaler Finsternis. Und so stand also mein Vater im Elliot Park im Scheinwerferlicht des Streifenwagens und blickte auf den viergeschossigen Backsteinbau, der tatsächlich wie ein Bezirksgefängnis aussah - überall krochen rostige Feuerleitern hoch, wie Baugerüste an einem Haus, das versuchte, etwas anderes zu werden. Zweifellos griff er nach der Hand meiner Mutter. In der dunklen Nacht, die der Einbildungskraft keine Grenzen setzt, spürte mein Vater, wie ihm der Name seines künftigen Hotels - und unsere Zukunft - eingegeben wurde.
    »Wie willste's denn nennen?« fragte der alte Polizist.
    »Das Hotel New Hampshire«, sagte mein Vater.
    »Heiliger Strohsack«, sagte Howard Tuck.
    »Heiliger Strohsack« wäre vielleicht ein besserer Name dafür gewesen, aber nun war alles entschieden; es würde das Hotel New Hampshire sein.
    Ich war noch wach, als Mutter und Vater heimkamen - sie waren viel länger als nur eine Viertelstunde weggewesen, und so wußte ich, daß sie auf ihrem Spaziergang zumindest der weißen Schaluppe - wenn nicht Freud und dem Mann in der weißen Smokingjacke - begegnet waren.
    »Mein Gott, Kummer«, hörte ich Vater sagen. »Hättest du das nicht draußen erledigen können?«
    Ich stellte mir ihren Nachhauseweg vor und sah das Bild deutlich vor mir: Kummer, der durch die Hecken an den Schindelhäusern der Stadt schnaubte und die nicht mehr so fest schlafenden älteren Menschen aus den Betten holte. Ein bißchen durcheinander, was das Zeitgefühl betraf, blickten sie vielleicht aus dem Fenster und sahen meinen Vater und meine Mutter, Hand in Hand; und ohne die verflossenen Jahre zu bedenken murmelten sie vielleicht, als sie wieder schlafen gingen, vor sich hin: »Es ist Iowa-Bobs Junge mit der kleinen Bates, und sie haben wieder diesen alten Bären dabei.«
    »Nur eins ist mir noch unklar«, sagte meine Mutter. »Werden wir dieses Haus verkaufen und räumen müssen, bevor wir soweit sind, daß wir dort einziehen können?«
    Weil er natürlich nur so die Mittel aufbringen konnte, um aus einer Schule ein Hotel zu machen. Die Stadt würde ihm das Thompson Female Seminary mit Freuden und zu einem Spottpreis überlassen. Wer hatte schon ein Interesse daran, diesen Schandfleck leer stehen zu lassen, wo Kinder sich weh tun konnten, wenn sie die Fenster einwarfen und auf den Feuerleitern herumkletterten? Aber das angestammte Haus meiner Mutter - der imposante Batessche Familiensitz - mußte für die Kosten der Renovierung drangegeben werde. Vielleicht hatte Freud das gemeint,

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