Das Hotel New Hampshire
verrottet.
»Nichts sieht verlassener aus«, sagte Bob, »als ein Korbring ohne Netz. Ich finde das so traurig.«
Und eines Tages sahen wir den Männern mit den Preßluftbohrern zu, die Thompson Female Seminary von der leichengrauen Steinplatte abstemmten, die in die Backsteine über dem großen Portal eingelassen war. Sie machten Feierabend - absichtlich, da bin ich sicher -, als nur noch die Buchstaben male Semin über dem Portal standen. Das war an einem Freitag, und so blieben die Buchstaben über das Wochenende stehen, zum Ärger meiner Mutter und meines Vaters - und zu Coach Bobs Belustigung.
»Warum nennst du's nicht einfach Hotel Sperma?« fragte Iowa-Bob meinen Vater. »Das heißt dasselbe und ist zudem schön kurz.« Bob war guter Laune, weil er ein erfolgreiches Team hatte und weil er wußte, daß er die erbärmliche Dairy School bald verlassen würde.
Wenn mein Vater schlechter Laune war, ließ er es sich kaum einmal anmerken. (Er war voller Energie - »Energie zeugt Energie«, bleute er uns immer wieder ein, ob wir nun Hausaufgaben machten oder für eine der Mannschaften trainierten, die von ihm betreut wurden.) Er hatte der Dairy School nicht gekündigt; wahrscheinlich traute er sich nicht, oder Mutter ließ es nicht zu. Er machte zwar weiter mit dem Hotel New Hampshire, gab daneben aber drei Englischkurse und leitete im Winter und im Frühjahr das Training der Leichtathleten; er machte also mit halber Kraft weiter.
Frank schien in der Dairy School zu verschwinden; er war wie eine der Pro-forma-Kühe. Nach einer gewissen Zeit nahm man ihn gar nicht mehr wahr. Er machte seine Schularbeiten - sie schienen ihm schwerzufallen - und besuchte die vorgeschriebenen Sportstunden, auch wenn er keinen Lieblingssport hatte und nicht gut (oder ehrgeizig) genug war, sich für eine der Schulmannschaften zu qualifizieren. Er war groß und stark und so linkisch wie eh und je.
Und er ließ sich (mit sechzehn) einen feinen Schnurrbart auf der Oberlippe stehen, der ihn viel älter machte. Er hatte die Plumpheit eines Welpen - diese täppische Schwerfälligkeit in den Füßen, die die Vorstellung erweckt, das Hündchen könnte eines Tages zu einem großen und imposanten Hund heranwachsen. Doch Frank würde ewig auf die Haltung warten, die imposante Größe begleiten muß, damit das betreffende Tier auch imposant wirkt. Er hatte keine Freunde, aber niemand machte sich deshalb Sorgen; Frank hatte noch nie Wert darauf gelegt, Freunde zu haben.
Franny hatte natürlich viele Freunde. Die meisten von ihnen waren älter als Franny, und einen von ihnen mochte ich: es war ein großer rothaariger Junge im letzten Schuljahr - ein kräftiger, stiller Typ, der als Schlagmann im ersten Boot der Schulmannschaft ruderte. Er hieß Struthers, er war in Maine aufgewachsen, und bis auf die Blasen an seinen Händen, die er - um sie abzuhärten - mit rostbrauner Benzoinsalbe bestrich, und bis auf die Tatsache, daß er gelegentlich wie ein Haufen nasser Socken roch, war er für alle in der Familie akzeptabel. Sogar für Frank. Kummer knurrte Struthers an, aber das war eine Geruchsfrage: Struthers war eine Bedrohung für Kummers dominierende Stellung in unserem Haus. Ich wußte nicht, ob Struthers der Lieblingsfreund Frannys war, aber er mochte sie sehr und war auch zum Rest der Familie nett.
Von den anderen - darunter war auch der Anführer dieser Legionäre aus Boston, die für Coach Bobs Team angeheuert worden waren - waren manche nicht so nett. So war zum Beispiel der Spielmacher in diesem gekauften Sturm ein Junge, neben dem Ralph De Meo wie ein Heiliger wirkte. Sterling Dove hieß er, wurde aber Chip oder Chipper genannt; seinem sanften Namen zum Trotz - Dove heißt Taube - war er ein roher, kantiger Bursche; er kam von einer der feineren Schulen in den Außenbezirken Bostons.
»Der geborene Führer, dieser Chip Dove«, sagte Coach Bob.
Der geborene Kommandant irgendeiner Geheimpolizei, dachte ich. Chipper Dove war ein blonder Schönling von der makellosen, fast hübschen Sorte; in unserer Familie waren alle dunkelhaarig, abgesehen von Lilly, aber die war weniger blond als vielmehr verwaschen - am ganzen Leib; selbst ihr Haar war bleich.
Es hätte mir Spaß gemacht, Chip Dove einmal ohne die Jungs, die so gut für ihn blockten, in der Spielmacherrolle zu erleben, und das in einer Situation, wo er mit vielen Pässen versuchen müßte, etliche Touchdowns aufzuholen; aber die Verantwortlichen hatten Coach Bob die richtigen Leute
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