Das Hotel New Hampshire
brummte Mrs. Urick.
Dann rief Harold Swallow aus Detroit an. Er kam nun doch nicht früher nach Dairy. Er verzichte auf die Party, sagte er, denn ihm sei gerade eingefallen, daß ihn der Silvesterabend immer deprimiere und daß er sich das Ganze dann jedesmal im Fernsehen anschaue. »Und das kann ich genausogut in Detroit«, sagte er. »Was soll ich nach Boston fliegen und mit Junior Jones und einem Haufen anderer Leute im Auto fahren, nur um dann in einem komischen Hotel zu sitzen und Silvester im Fernsehen anzugucken.«
»Wir machen den Fernseher gar nicht an«, sagte ich ihm. »Das geht schon wegen der Band nicht.«
»Na ja«, sagte er. »Dann würde mir etwas fehlen. Da bleib ich lieber in Detroit.« In den Unterhaltungen mit Harold Swallow steckte nie viel Logik; ich wußte nie, was ich ihm sagen sollte.
»Tut mir leid wegen Bob«, sagte Harold, und ich dankte ihm und berichtete dann den anderen.
»Nasty kommt auch nicht«, sagte Franny. Nasty war der Bostoner Freund einer Freundin Frannys: Ernestine Tuck aus Greenwich in Connecticut. Ernestine nannten - bis auf Franny und Junior Jones - alle nur »Bitty«. Offenbar hatte ihre Mutter sie einmal an einem schrecklichen Abend a little bitty genannt, einen kleinen Winzling, und der Name blieb, wie man so schön sagt, an ihr hängen. Ernestine schien das nichts auszumachen, und sie ließ sich auch Junior Jones' Version ihres Namens gefallen: sie hatte wundersame Brüste, und Junior nannte sie Tittie Tuck, und auch Franny nannte sie so. Bitty Tuck verehrte Franny dermaßen, daß sie jede Beleidigung von ihr hingenommen hätte; und die ganze Welt, dachte ich oft, würde Beleidigungen von Junior Jones einfach einstecken müssen. Bitty Tuck war reich und hübsch und achtzehn und kein übler Mensch - sie ließ sich nur so leicht auf den Arm nehmen -, und sie kam an Silvester, weil sie das war, was Franny ein Party-Mädchen nannte, und weil sie Frannys einzige Freundin an der Dairy School war. Mit ihren achtzehn Jahren war Bitty - nach Frannys Meinung - sehr weltgewandt. Wie Franny mir erklärte, war geplant, daß Junior Jones und seine Schwester in ihrem eigenen Wagen von Philadelphia herfuhren; sie sollten unterwegs Tittie Tuck in Greenwich abholen und danach Titties Freund Peter (Nasty) Raskin in Boston. Doch nun, sagte Franny, durfte Nasty nicht mitkommen - weil er bei einer Hochzeit in der Familie eine Tante beleidigt hatte. Tittie hatte sich aber entschlossen, trotzdem mit Junior und seiner Schwester nach Dairy zu fahren.
»Dann bleibt ja ein Mädchen übrig - für Frank«, sagte Vater in seiner wohlmeinenden Art, und mancherlei Gestalten des Todes zogen schweigend über uns hin.
»Hauptsache, für mich bleibt kein Mädchen übrig«, sagte Egg.
»Egg!« brüllte Frank so plötzlich, daß wir alle zusammenfuhren. Keiner von uns hatte bemerkt, daß Egg hereingekommen war, aber er hatte sein Kostüm gewechselt und tat so, als sei er vollauf damit beschäftigt, das Restaurant in Ordnung zu bringen, und als habe er den ganzen Tag in unserer Mitte verbracht und mitgearbeitet.
»Ich muß mit dir reden, Egg«, sagte Frank.
»Was?« sagte Egg.
»Schrei Egg nicht so an!« sagte Lilly und nahm in ihrer aufreizenden mütterlichen Art Egg zur Seite. Es war uns aufgefallen, daß Lilly Egg zu bemuttern begann, als Egg ihr über den Kopf wuchs. Frank folgte ihnen in eine Ecke des Raumes und ging zischend wie ein Faß voll Schlangen auf Egg los.
»Ich weiß, daß du ihn hast, Egg«, zischte Frank.
»Was?« sagte Egg.
Frank traute sich nicht, »Kummer« zu sagen, solange Vater im Raum war, und keiner von uns hätte zugelassen, daß er Egg zu sehr bedrängte; Egg war in Sicherheit, und er wußte es. Egg trug seinen Infanterie-Kampfanzug; Franny hatte mir erzählt, sie glaube, daß Frank wahrscheinlich selber gern so eine Uniform hätte und daß es ihn immer wütend mache, wenn Egg eine Uniform trage - und Egg hatte gleich mehrere. So seltsam Franks Liebe für Uniformen wirkte, so natürlich schien diese Liebe bei Egg; zweifellos ärgerte das Frank.
Dann fragte ich Franny, wie Junior Jones' Schwester nach Philadelphia zurückkam, wenn Neujahr erst vorbei war und die Dairy School wieder anfing. Franny sah verwundert aus, und ich erklärte ihr, daß Junior wohl nicht vorhatte, mit seiner Schwester die lange Fahrt nach Philadelphia zurück zu machen und dann gleich wieder umzukehren, um zum Schulbeginn in Dairy zu sein, und außerdem durfte er in Dairy kein Auto haben. Das
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