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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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schätzungsweise, und als sie mit mir bekannt gemacht wurde, schien sie ein wenig überrascht. Junior Jones, der für seine Größe unheimlich flink war, ging schnell ganz weit von uns weg.
    »Du bist der Gewichtheber?« sagte Sabrina Jones.
    »Ich bin erst fünfzehn«, log ich; aber schließlich war es nicht mehr lange bis zu meinem fünfzehnten Geburtstag.
    »Heiliger Strohsack«, sagte Sabrina Jones; sie war so hübsch, ich konnte gar nicht hinsehen. »Junior!« rief sie, aber Junior Jones versteckte sich vor ihr - in seiner ganzen Größe.
    Er hatte offensichtlich eine Mitfahrgelegenheit gebraucht, und da er Franny nicht enttäuschen wollte, durch sein Fehlen bei der Silvesterparty, hatte er seine ältere Schwester mitsamt ihrem Auto angeheuert und ihr dafür einen Abend mit mir in Aussicht gestellt.
    »Er hat mir erzählt, Franny habe einen älteren Bruder«, sagte Sabrina bekümmert. Ich nehme an, Junior könnte dabei an Frank gedacht haben. Sabrina Jones war Sekretärin in einer Anwaltskanzlei in Philadelphia; sie war neunundzwanzig.
    »Fünf zehn«, pfiff sie durch ihre Zähne, die nicht so weiß strahlten wie das funkelnde Gebiß ihres Bruders; Sabrinas Zähne waren absolut ebenmäßig, aber sie hatten irgendwie eine perlenartige Tönung, wie Austernschalen. Nicht daß die Zähne unschön gewesen wären, aber sie waren der einzige sichtbare Makel an ihr. In meiner Unsicherheit brauchte ich sowas. Ich kam mir so tolpatschig vor - voller Bananen, wie Frank einmal sagte.
    »Es kommt noch eine Live-Band«, sagte ich und bereute sofort, daß ich das gesagt hatte.
    »Ist ja ungeheuer«, sagte Sabrina Jones, aber sie war nett; sie lächelte. »Tanzt du?« fragte sie.
    »Nein«, gestand ich.
    »Macht nichts«, sagte sie; sie gab sich wirklich Mühe, kein Spielverderber zu sein. »Aber Gewichte hebst du wirklich?«
    »Nicht so viel wie Junior«, sagte ich.
    »Dem sollten mal ein paar Gewichte auf den Kopf fallen«, sagte sie.
    Frank wankte durch die Eingangshalle, er schleppte einen Überseekoffer mit Junior Jones' Wintersachen; er schaffte es nicht so recht, an Bitty Tucks Gepäck am Fuß der Treppe vorbeizukommen, und so ließ er dort den Koffer einfach fallen - womit er Lilly aufschreckte, die auf der untersten Stufe saß und Sabrina Jones beobachtete.
    »Das ist meine Schwester Lilly«, sagte ich zu Sabrina, »und das war Frank«, fügte ich mit einem Blick auf Franks Rücken hinzu, denn der schlich sich schon wieder davon. Irgendwo konnten wir Franny und Bitty Tuck kreischen hören, und ich war sicher, daß Junior Jones bei meinem Vater war - um ihm sein Beileid wegen Coach Bob auszusprechen.
    »Tag, Lilly« sagte Sabrina.
    »Ich bin ein Zwerg«, sagte Lilly. »Ich werde nie mehr größer, als ich jetzt bin.«
    Diese Auskunft muß - aus Sabrina Jones' Sicht - genau zu der Enttäuschung über mein tatsächliches Alter gepaßt haben; Sabrina schien nicht schockiert.
    »Ach, das ist ja interessant«, sagte sie zu Lilly.
    »Du wirst noch größer, Lilly«, sagte ich. »Wenigstens noch ein bißchen, und du bist kein Zwerg.«
    Lilly zuckte mit den Achseln. »Macht mir nichts aus«, sagte sie.
    Eine Gestalt huschte oben über den Treppenabsatz - sie hatte einen Tomahawk und trug Kriegsbemalung und sonst nicht viel (einen schwarzen Lendenschurz mit bunten Perlen um die Hüften).
    »Das war Egg«, sagte ich, als ich die Verblüffung in Sabrina Jones' Augen sah; ihre hübschen Lippen öffneten sich - als versuchten sie zu reden.
    »Das war ein kleiner Indianerjunge«, sagte sie. »Warum heißt er Egg?«
    »Ich weiß, warum!« meldete sich Lilly; auf der Treppe sitzend, hob sie die Hand - als sei sie in der Schule und erwarte, aufgerufen zu werden. Ich war froh, daß sie da war; ich erklärte Eggs Namen nicht gern. Egg war von Anfang an Egg gewesen, seit Mutter mit ihm schwanger war und Franny sie fragte, welchen Namen das neue Baby bekommen würde. »Im Augenblick ist es nur ein Ei«, hatte Frank dunkel verkündet - Franks biologische Weisheiten waren für uns alle immer ein Schock. »Just an egg«, hatte er gesagt, und als Mutter dann dicker und dicker wurde, wurde das Ei mit wachsender Selbstverständlichkeit Egg genannt. Mutter und Vater hofften auf ein drittes Mädchen, nur weil es ein Aprilkind werden würde und weil sie beide gerne ein Mädchen namens »April« gehabt hätten; über einen Jungennamen waren sie sich noch nicht einig, denn Vater hatte für seinen eigenen Namen, Win, nichts übrig, und Mutter konnte

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