Das Hotel New Hampshire
vierfüßigen Christus, schien mir ominös. Ich überredete Franny zu einer Bettenkontrolle, obwohl sie sagte, Frank und ich seien verrückt - Egg, sagte sie, habe wahrscheinlich das Brett behalten wollen und den Hund weggeschmissen. Natürlich half die Sprechanlage nicht weiter, da Kummer - egal ob weggeschmissen oder versteckt - nicht mehr atmete. Ein merkwürdiges Blasgeräusch, das sich wie strömende Luft anhörte, kam aus 3 A - vom anderen Ende des Flurs als Max Uricks Rauschen -, aber Franny sagte, wahrscheinlich sei da einfach ein Fenster offen: Ronda Ray hatte das Bett für Bitty Tuck hergerichtet, und wahrscheinlich war es in dem Zimmer muffig gewesen.
»Warum muß Bitty eigentlich ganz hinauf in den dritten Stock?« fragte ich.
»Weil Mutter meinte, Nasty käme mit«, sagte Franny, »und da oben hätten sie ein bißchen Ruhe gehabt vor euch Kindern.«
»Vor uns Kindern, meinst du«, sagte ich. »Und wo schläft Junior?«
»Nicht bei mir«, sagte Franny kurz. »Junior und Sabrina haben ihre eigenen Zimmer im ersten Stock.«
»Sa-bri-na?« sagte ich.
»Ja, so heißt sie«, sagte Franny.
Sabrina Jones! dachte ich und spürte, wie mir ruckartig die Kehle zugeschnürt wurde. Siebzehn Jahre alt und zwei Meter groß, stellte ich mir vor; wiegt etwa 85 Kilo, ohne Kleider und gut abgetrocknet - und im Bankdrücken schafft sie zwei Zentner.
»Sie sind da«, berichtete uns Lilly, die in den Schaltraum gelaufen kam, mit ihrer dünnen Stimme. Wenn Lilly Junior Jones in seiner ganzen Größe sah, verschlug es ihr immer den Atem.
»Wie groß ist sie?« fragte ich Lilly, aber für Lilly sahen natürlich alle riesig aus; ich mußte mir Sabrina Jones schon selber ansehen.
Frank, der wieder einmal seine Gehemmtheit offen ausleben wollte, hatte seine Busfahreruniform angezogen und spielte für das Hotel New Hampshire den Türsteher. Er trug gerade Bitty Tucks Gepäck in die Eingangshalle; Bitty Tuck gehörte zu der Sorte Mädchen, die Gepäck haben. Sie trug eine Art Herrenanzug, der aber für eine Frau geschneidert war, und selbst eine Art Herrenhemd, mit Button-Down-Kragen und Krawatte und allem drum und dran - bis auf die Brüste, die fielen aus dem Rahmen, wie Junior Jones bemerkt hatte: die ließen sich auch in der männlichsten Kleidung unmöglich verstecken. Gleich hinter Frank, der sich schwitzend mit ihrem Gepäck abmühte, stürmte sie in die Eingangshalle.
»Hallo, John-John!« sagte sie.
»Hallo, Tittie«, rutschte mir heraus; dabei hatte ich sie gar nicht mit ihrem Spitznamen anreden wollen, denn nur Junior und Franny konnten sie Tittie nennen, ohne von ihr mit Verachtung bestraft zu werden. Sie warf mir einen verächtlichen Blick zu und rauschte an mir vorbei, um Franny zu umarmen, mit dem merkwürdigen Gekreische, mit dem Mädchen wie sie wahrscheinlich schon auf die Welt kommen.
»Die Koffer kommen auf 3 A, Frank«, sagte ich.
»Herrgott, aber nicht jetzt gleich«, sagte Frank und ging mit Bittys Gepäck zu Boden. »Einer allein schafft das nie«, sagte er. »Vielleicht bringt die Party ein paar von euch Trotteln so in Stimmung, daß euch das Gepäckschleppen sogar Spaß macht.«
Junior Jones erschien in seiner ganzen Größe in der Eingangshalle, und er sah aus, als könne er Bitty Tucks Gepäck drei Stockwerke hoch schleudern - mitsamt Frank, dachte ich.
»Hier ist der Spaß«, sagte Junior Jones. »He, Mann, der Spaß ist hier.«
Ich versuchte, an ihm vorbei oder um ihn herum zur Tür zu blicken. Eine Schrecksekunde lang suchte ich tatsächlich über seinem Kopf, als könnte seine Schwester, Sabrina, dort aufragen.
»He, Sabrina«, sagte Junior Jones. »Hier ist dein Gewichtheber.«
In der Tür stand eine schlanke Negerin, etwa so groß wie ich; ihr hoher Schlapphut ließ sie vielleicht ein wenig größer erscheinen - und sie trug Schuhe mit hohen Absätzen. Ihr Kostüm war Zoll für Zoll so elegant wie Bitty Tucks Aufmachung; sie trug eine cremefarbene Seidenbluse mit breitem Kragen, und sie war so weit aufgeknöpft, daß man ihren langen Hals hinunter bis zu dem roten Spitzenbesatz an ihrem BH sehen konnte; sie hatte Ringe an allen Fingern, und sie trug Armbänder, und sie hatte eine wunderbare Farbe, wie Zartbitter-Schokolade, große strahlende Augen und einen breiten lächelnden Mund voll eigenartiger, aber hübscher Zähne; sie roch so gut und von so weit weg, daß selbst Bitty Tucks Gekreische durch Sabrina Jones' Duft gedämpft wurde. Sie war zwischen achtundzwanzig und dreißig,
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