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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sollte oder nur die üblichen paar Stellplätze. Ronda Ray schien in der richtigen Stimmung für eine ganz eigene Silvesterparty; sie hatte ein Kleid, das sie anziehen wollte - sie hatte mir ausführlich davon erzählt. Ich kannte das Kleid bereits: es war das sexy Kleid, das Franny Mutter zu Weihnachten geschenkt hatte; Mutter hatte es an Ronda weitergegeben. Nachdem ich es an Franny gesehen hatte, hätte ich zu gerne gewußt, wie Ronda sich da hineinzwängen wollte.
    Mutter hatte für den Abend eine Live-Band organisiert. »Von wegen Live -Band«, sagte Franny, »mir kommen die eher scheintot vor« - sie hatte die Band schon gehört. Im Sommer spielten sie für die Urlauber in Hampton Beach, doch in der übrigen Zeit gingen die meisten von ihnen noch zur Schule. Die elektrische Gitarre spielte ein halbstarker Pennäler namens Sleazy Wales; seine Mutter war die Sängerin und spielte akustische Gitarre - eine massige, laute Frau namens Doris, »eine Schlampe«, wie Ronda Ray giftig bemerkte. Die Band hatte ihren Namen entweder von Doris oder von dem schwachen Hurrikan, der schon ein paar Jahre zurücklag und der ebenfalls Doris getauft worden war. Die Band hieß natürlich Hurricane Doris, und sie bestand aus Sleazy Wales und seiner Mutter und zwei von Sleazys Schulkameraden: akustischer Baß und Schlagzeug. Ich glaube, die Jungs arbeiteten nach der Schule alle in derselben Reparaturwerkstatt, denn als BandUniform trugen sie die Arbeitskleidung von Automechanikern; auf der Brust hatten sie ihre Namen aufgenäht, gleich neben dem GULF-Emblem. Danny, Jake und Sleazy - Gulf. Doris trug, wozu sie gerade Lust hatte - Kleider, die selbst Ronda Ray zu unverschämt gewesen wären. Frank fand Hurricane Doris natürlich »widerlich«.
    Die Band spielte am liebsten Presley-Songs - »jede Menge langsamen Schmus, wenn wir 'n Haufen Erwachsene haben«, erzählte Doris meiner Mutter am Telefon, »und das schnellere Zeug, wenn viel junges Volk da ist.«
    »O Mann«, sagte Franny. »Ich bin bloß gespannt, was Junior zu Hurricane Doris sagen wird.«
    Und ich ließ mehrere gläserne Aschenbecher fallen, die ich auf den Tischen verteilen sollte, denn ich war gespannt, was Junior Jones' Schwester zu mir sagen würde.
    »Wie alt ist sie?« fragte ich Franny.
    »Wenn du Glück hast, Kleiner«, zog mich Franny auf, »ist sie nicht über zwölf.«
    Frank hatte den Mop und den Besen in die Besenkammer im Erdgeschoß zurückgestellt und war dort auf eine Spur von Kummer gestoßen. Es war das Brett, zugeschnitten auf die richtige Größe, auf dem Kummer in seiner ›Angriff‹-Pose montiert gewesen war. In dem Brett waren vier sauber gebohrte Schraubenlöcher, und es gab Spuren von den Pfotenabdrücken des Hundes; er war mit den Pfoten am Brett festgeschraubt gewesen.
    »Egg!« brüllte Frank. »Du fieser kleiner Dieb, Egg!«
    Egg hatte also Kummer von seinem Podest abgeschraubt und war vielleicht in diesem Augenblick dabei, Kummers Pose so umzumodeln, daß sie seiner eigenen Version von unserem alten Familienhund näherkam.
    »Nur gut, daß Egg nie State o' Maine in die Finger gekriegt hat«, sagte Lilly.
    »Nur gut, daß Frank nicht State o' Maine in die Finger gekriegt hat«, bemerkte Franny.
    »Zum Tanzen wird's nicht gerade viel Platz geben«, sagte Ronda Ray mißmutig. »Wir können die Stühle nicht aus dem Weg räumen.«
    »Wir tanzen um die Stühle herum!« rief Vater optimistisch.
    »Lebenslänglich festgeschraubt«, murmelte Franny, aber Vater hörte sie, und er war noch nicht ganz soweit, sich Iowa-Bobs alte Sprüche wieder anhören zu können. Er sah sehr verletzt aus, dann blickte er weg. Silvester 1956 ist mir in Erinnerung als ein Tag, an dem eine Menge »weggeblickt« wurde.
    »O verdammt«, flüsterte mir Franny zu, und es war ihr anzusehen, daß sie sich - tatsächlich - schämte.
    Ronda Ray drückte Franny kurz an sich. »Du mußt einfach noch ein bißchen erwachsener werden, Schätzchen«, sagte sie zu ihr. »Das mußt du erst noch lernen: Erwachsene kommen nicht so schnell wieder hoch wie Kinder.«
    Wir hörten Frank, wie er auf der Suche nach Egg im Treppenhaus herumtobte. Frank kam auch nicht so schnell wieder hoch, dachte ich. Aber Frank war in gewisser Hinsicht nie ein Kind.
    »Schluß jetzt mit dem Geschrei!« brüllte Max Urick vom dritten Stock herunter.
    »Kommt runter und helft uns mit der Party - alle beide!« rief Vater nach oben.
    »Verdammte Gören!« schimpfte Max.
    »Gören! Was weiß der schon davon?«

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