Das Imperium der Woelfe
Schreibtisches. Jede seiner Bewegungen strömte den Geruch von Minze aus.
»Hast du Kontakt zu ihnen aufgenommen?«
»Ich hab's versucht. Aber sie waren sehr zurückhaltend. Nach dem, was ich verstanden habe, hat irgendwer in der Place Beauvau meinen Bericht unterschlagen. Danach hat Charlier Befehle erteilt.«
»Philippe Charlier?«
Beauvanier nickte. Die ganze Geschichte schien ihn zu überfordern. Charlier war einer der fünf Kommissare der Anti-Terror-Abteilung. Ein ehrgeiziger Polizist, den Schiffer seit seinem Wechsel zur Abteilung für organisiertes Verbrechen 1977 kannte. Ein echtes Arschloch. Vielleicht schlauer als er, doch genauso brutal.
»Und danach?«
»Danach, nichts. Ich habe nie mehr davon gehört.«
»Du willst mich verarschen.«
Beauvanier zögerte. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er blickte weiterhin zu Boden. »Am nächsten Tag hat mich Charlier persönlich angerufen. Er hat mir jede Menge Fragen gestellt. Wo man die Türkin gefunden hatte, unter welchen Umständen, all das.«
»Was hast du ihm geantwortet?«
»Was ich wusste.«
Das heißt nichts, Schwachkopf, dachte Schiffer. Der Polizist mit der Baseball-Mütze schloss: »Charlier hat mir mitgeteilt, dass er sich um die Angelegenheit kümmert. Die Weitergabe an die Staatsanwaltschaft, die Ausländerbehörde. Das übliche Verfahren. Er hat mir auch deutlich gemacht, dass es für mich besser wäre, die Klappe zu halten.«
»Hast du deinen Bericht noch?«
Auf seinem verschreckten Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab. »Was glaubst du? Sie sind am selben Tag gekommen und haben ihn sich geholt.«
»Und die Durchschrift?«
Das Lächeln wandelte sich in ein Lachen: »Welche Durchschrift? Mann, sie haben alles gelöscht. Sogar das Band des Polizeifunks. Sie haben die Zeugin ganz einfach verschwinden lassen.«
»Warum?«
»Wie soll ich das wissen? Dieses Mädchen hatte nichts zu sagen. Sie war total hinüber.«
»Und warum hast du die Schnauze gehalten?«
Der Bulle senkte die Stimme: »Charlier hat mich in der Hand. Eine Geschichte, die lange zurückliegt... «
Schiffer gab ihm einen freundschaftlichen Puff in den Arm und stand auf. Er musste die neuerlichen Informationen verdauen und ging wieder im Zimmer auf und ab. So unglaublich es schien, doch die Entführung Sema Gokalps durch die Anti-Terror-Abteilung musste Teil einer anderen Geschichte sein, die weder mit den Serienmorden noch mit den Grauen Wölfen zu tun hatte. Was gleichwohl die Bedeutung der Zeugin für seine Ermittlungen nicht schmälerte. Er musste Sema Gokalp finden, weil sie etwas gesehen hatte.
»Bist du wieder im Dienst?«, fragte Beauvanier.
Schiffer zog seine nasse Jacke zurecht und ignorierte die Frage. Er sah eines von Nerteaux' Phantombildern auf dem Schreibtisch, schnappte es sich wie ein Kopfjäger und fragte: »Erinnerst du dich an den Namen des Arztes, der Sema in Sainte-Anne versorgt hat?«
»Ja, ich erinnere mich. Jean-François Hirsch. Er hat mir mit Rezepten geholfen und... «
Schiffer hörte nicht mehr zu. Er richtete seinen Blick wieder auf das Phantombild, eine geschickte Synthese aus den Gesichtern der drei Opfer: lange, sanfte Züge, ein schüchternes Lächeln und rotes Haar. Ein türkisches Gedicht kam ihm in den Sinn: »Der Padischah hatte eine Tochter / sie sah aus wie der Mond am vierzehnten Tag... «
Beauvanier wagte die Frage: »Hat die Hammam-Geschichte etwas mit dieser Frau zu tun?«
Schiffer steckte das Foto ein. Er ergriff den Schirm der Baseball-Cap, drehte ihn nach vorne und presste die Mütze über Beauvaniers Schädel: »Wenn dich einer danach fragt, wirst du schon irgendwas finden, was du vorrappen kannst - hey, man!«
Kapitel 45
Krankenhaus Sainte-Anne, einundzwanzig Uhr. Er kannte den Ort gut: Rue Broussais Nummer 17, die kleine Tür in der Außenmauer mit den eng gefügten Steinmauern erinnerte an einen Künstlereingang. Dann den Ort selbst, hügelig, verworren, riesengroß. Ein Ensemble aus rechteckigen Gebäuden und Pavillons in den verschiedensten Stilen mehrerer Jahrhunderte. Eine regelrechte Festung, hinter der sich eine Welt des Wahns verbarg.
An diesem Abend schien die Burg nicht sonderlich gut bewacht. Schon an den ersten Gebäuden hingen bunte Spruchbänder - »Sicherheitsdienst im Streik« - »Festanstellung oder Tod«. Weiter hinten flatterten andere Betttücher mit Aufschriften - »Gegen Überstunden« - »Keine Kürzung des Urlaubs«.
Der Gedanke, dass die größte Nervenklinik von Paris sich selbst
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