Das Imperium der Woelfe
hebelte mit aller Kraft die Platte heraus. Ein erster Riss in der Oberfläche. Sie drückte weiter, an der Unterseite des Blocks. Die Platte fiel zu Boden und sprang in zwei Stücke.
Anna räumte einen Brocken zur Seite und schlug den Meißel wie einen Hammer gegen die Gipswand im hinteren Bereich der Nische. Steinchen und kleinere Brocken flogen durch die Luft und verfingen sich in ihrem schwarzen Haar. Sie klopfte eifrig, ohne sich Gedanken über den Lärm zu machen, während Mathilde der Atem stockte. Ihr war, als dränge dieser Krach bis zur Place Gambetta. Wie lange würde es dauern, die Wächter aufzuscheuchen ?
Es folgte ein Moment der Stille. Durch eine weißliche Staubwolke kroch Anna in das Fach und schob die Bruchstücke beiseite, sie förderte Unmengen Staub zutage, als ein plötzliches Klirren ihrem Tun ein Ende setzte.
Die beiden Frauen sahen sich um.
Zu ihren Füßen schimmerte ein Metallschlüssel in den Gipstrümmern.
»Probier's damit, da sparst du Zeit.«
Ein Mann mit Bürstenhaarschnitt stand an der Schwelle der Galerie. Seine Gestalt spiegelte sich auf dem Schachbrettmuster des Fußbodens. Er schien auf einer Wasserfläche zu stehen.
Er fragte, indem er eine Pumpgun hochhielt: »Wo sind sie?«
Er trug einen zerknitterten Trenchcoat, der seine Umrisse verzerrte, und doch verbreitete er den Eindruck von Kraft und Stärke. Vor allem sein Gesicht, das seitlich vom flackernden Schein einer Lampe beschienen wurde, zeigte eine erschreckende Grausamkeit.
»Wo sind sie?«, fragte er erneut und trat einen Schritt vor.
Mathilde wurde speiübel, ein Schmerz brannte in ihrem Leib, ihre Beine wurden schwach. Um nicht zu fallen, musste sie sich an einem Fach festhalten. Dies war kein Spiel mehr. Dies war kein Sportschießen, kein Triathlon, keine kalkulierte Gefahr.
Sie würden einfach nur sterben.
Der Eindringling kam noch näher und lud mit einer präzisen Geste sein Gewehr: »Verflucht noch mal, wo sind die Drogen?«
Kapitel 55
Der Mann im Regenmantel stand in der Schusslinie. Mathilde ließ sich fallen, und als sie den Boden erreichte, begriff sie, dass das Feuer aus ihrer Pistole gekommen war. Sie rollte durch die Gipsreste, als ihr eine zweite Wahrheit dämmerte: Anna hatte zuerst geschossen - offenbar war in dem Fach eine Maschinenpistole versteckt gewesen.
Der Feuerhagel wurde heftiger. Mathilde kauerte sich hin, die Fäuste fest gegen den Kopf gepresst, über ihr zersprangen Grabgefäße. Urnen fielen samt Inhalt heraus, und sie brüllte, als erstmals Asche über ihr Haar rieselte. Graue Wolken flogen umher, während die Kugeln pfiffen und in die Wand einschlugen. In einem Nebel von Staub sah sie, wie Funken aus den Marmorvorsprüngen drangen, Feuerstrahlen über den Schutt sausten, Gefäße auf den Boden rollten und mit silbrigem Blitzen zersprangen. Der Flur ähnelte einer Hölle aus Sternen, mit Gold und Eisen versetzt...
Sie krümmte sich enger zusammen. Die Einschüsse zertrümmerten Fach um Fach, Blumen wurden zerfetzt, Urnen zerbrachen, und ihr Inhalt flog durch die Luft, während die Kugeln durch den Raum peitschten. Sie kroch vorwärts, schloss die Augen, jeder einzelne Knall ließ sie unwillkürlich aufschrecken.
Plötzlich wurde es still.
Mathilde kauerte auf dem Boden und wartete ein paar Sekunden, bevor sie die Augen öffnete. Sie konnte nichts sehen, der Gang war durch Asche vernebelt wie nach einem Vulkanausbruch. Der Geruch von Schießpulver mischte sich mit dem Geruch von Blei, das Atmen war nahezu unmöglich. Mathilde wagte nicht, sich zu rühren. Sie wollte nach Anna rufen, hielt sich aber zurück. Der Mörder sollte sie nicht finden.
Während sie nachdachte, befühlte sie ihren Körper. Mathilde war unverletzt, sie schloss erneut die Augen und konzentrierte sich. Kein Atem, kein Zittern um sie herum, nur Schutt fiel weiterhin leise herab.
Wo war Anna? Wo war der Mann? Waren sie beide tot?
Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, etwas zu erkennen. Schließlich konnte sie zwei oder drei Meter entfernt eine Lampe ausmachen, die einen schwachen Schein von sich gab. Sie erinnerte sich, dass die Leuchten in Abständen von zehn Metern befestigt waren. Aber welche war das? Die am Eingang zum Flur? Auf welcher Seite konnte sie einen Ausgang finden? Rechts oder links?
Sie unterdrückte ein Husten, schluckte und stützte sich lautlos auf einen Ellbogen. Sie begann, auf den Knien nach links zu rutschen, vorbei an Schutt und Sockeln, an Wasserpfützen, die sich aus
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