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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Uhr morgens hielt er eine Liste mit zehn Namen in der Hand. Erst jetzt begann für ihn die Nacht.
    Er parkte am anderen Ende der Trocadéro-Terrasse, zwischen den beiden Museumsgebäuden mit Blick auf die Seine. Er saß auf den Treppenstufen und genoss die Schönheit der Aussicht. Die Treppenabsätze, Springbrunnen und Statuen der Gärten bildeten eine zauberhafte Szenerie. Vom Pont d'Iéna fielen Lichtflecken auf den Fluss, bis zum Eiffelturm auf dem anderen Ufer, der dastand wie ein großer gusseiserner Briefbeschwerer. Die dunklen Gebäude am Champ de Mars schliefen in tempelartiger Ruhe. Der gesamte Anblick ließ an ein verborgenes Königreich in Tibet denken, ein wundersames Xanadu, das an den Grenzen zur bekannten Welt lag.
    Paul ließ die Erinnerungen der letzten Stunden an sich vorüberziehen.
    Zuerst hatte er versucht, die Chirurgen telefonisch zu erreichen, doch schon beim ersten Anruf hatte er begriffen, dass er auf diese Weise nichts erfahren würde. Man hatte gleich aufgelegt. Er musste ihnen auf jeden Fall die Fotos der Opfer und von Anna Heymes vorlegen, die man Schiffer im Kommissariat Louis-Blanc überlassen hatte.
    Er war zum nächstgelegenen »verdächtigen« Chirurgen in die Rue Clément-Marot gefahren. Er stammte aus Kolumbien, war Milliardär und stand unter dem Verdacht, die Hälfte der »Paten« des Medellin- und Cali-Kartells operiert zu haben. Er galt als ein Mann von größter Geschicklichkeit. Es hieß, er könne mit der rechten und linken Hand gleich gut operieren.
    Trotz der späten Stunde war der Künstler noch nicht im Bett - jedenfalls schlief er noch nicht. Paul hatte ihn bei seinen intimen Vergnügungen gestört, im parfümgeschwängerten Halbdunkel seines riesigen Lofts. Paul hatte sein Gesicht nicht genau erkannt, aber begriffen, dass diese Fotos ihm nichts sagten.
    Der zweite arbeitete in einer Privatklinik in der Rue Washington, auf der anderen Seite der Champs-Elysées. Paul hatte den Chirurgen kurz vor der Operation eines Patienten mit schweren Verbrennungen erwischt. Er hatte sein übliches Spiel gespielt: Dienstmarke gezückt, ein paar Worte zu dem Fall, Fotos auf den Tisch gelegt. Der Arzt hatte noch nicht einmal seine OP-Maske abgenommen. Er hatte nur verneinend den Kopf geschüttelt, bevor er sich der verbrannten Haut zuwandte. Paul erinnerte sich an die Worte von Arnaud, denen zufolge der Mann in der Lage war, menschliche Haut künstlich wachsen zu lassen. Es hieß, er könne nach Verbrennungen Fingerabdrücke verändern und so die Identität eines flüchtigen Kriminellen umgestalten ...
    Paul war in die Dunkelheit verschwunden.
    Den dritten plastischen Chirurgen überraschte er im Schlaf in seiner Wohnung in der Avenue d'Eylau, nahe beim Trocadéro. Auch er ein berühmter Mann, der die bekanntesten Schauspieler operiert haben sollte. Niemand wusste allerdings, »wen« und »woran«. Gerüchten zufolge hatte er sein eigenes Gesicht verändert, nach Schwierigkeiten mit der Justiz seines Herkunftslandes Südafrika.
    Er hatte Paul mit Misstrauen empfangen, beide Hände steckten in den Taschen seines Morgenmantels wie zwei Revolver. Nachdem er mit Widerwillen die Fotos betrachtet hatte, hatte er kategorisch verneint: »Nie gesehen.«
    Paul kam von diesen Besuchen zurück wie nach einem langen Atemstillstand. Um sechs Uhr morgens hatte er plötzlich das Gefühl, er brauche etwas, um sich festzuhalten, einen familiären Hintergrund. Deshalb hatte er dort angerufen, wo sich seine einzigen Verwandten befanden - oder jedenfalls das, was davon übrig war. Der Telefonanruf hatte ihn nicht gestärkt, denn Reyna lebte immer noch auf einem anderen Planeten. Und Céline, die noch fest schlief, war Lichtjahre von seiner Welt entfernt. Eine Welt, in der Mörder lebende Nagetiere in das Geschlecht von Frauen hielten, in der Bullen Teile von Fingern abtrennten, um an Informationen zu kommen...
    Paul blickte auf. Die Farben des Morgengrauens tauchten am Himmel auf wie die Aura eines weit entfernten Sterns. Ein breites lilafarbenes Band wurde nach und nach rosa und veränderte sich am Rand schwefelfarben, von weißen, strahlenden Partikeln durchsetzt. Der erste Schimmer des Tages...
    Er stand auf und ging denselben Weg zurück. Als er die Place du Trocadéro erreichte, öffneten bereits die ersten Cafés. Er sah schon Licht im Malakoff, wo er sich mit Naubrel und Matkowska, seinen Mitarbeitern von der Kriminalpolizei, verabredet hatte. Am Vorabend hatte er ihnen befohlen, die Suche nach den

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