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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Kenntnisse: Alles kommt spontan zurück. Kulturelles Gedächtnis hätte Ackermann dies genannt.
    Um siebzehn Uhr steigt sie in aller Ruhe ins Flugzeug und erreicht Istanbul gegen Abend, ohne Angst vor dem Zoll.
    Als sie im Taxi sitzt, kümmert sie die Landschaft draußen nicht weiter. Es wird bereits dunkel. Ein leichter Regen wirft gespenstische Reflexe, die mit ihren verschwimmenden Gedankenströmen harmonieren, in die Lichtkegel der Straßenlaternen.
    Sie kann nur Einzelheiten erkennen: einen fliegenden Händler, der Brotringe verkauft; ein paar junge Frauen, deren Gesichter von Kopftüchern verhüllt sind und die sich mit den Keramikverzierungen einer Busstation vermischen; eine große Moschee, schlecht gelaunt und düster dreinschauend, die oberhalb der Bäume trüben Gedanken nachhängt. Vogelkäfige, auf einem Bahnsteig, aneinander gereiht wie Bienenstöcke... All dies ist für sie zugleich vertraut und weit entfernt, und so wendet sie sich vom Fenster ab und kuschelt sich in ihren Sitz.
    Sie wählt eines der feinsten Hotels im Stadtzentrum und taucht im willkommenen Strom anonymer Touristen unter. Wenig später schließt sie die Tür ihres Zimmers von innen ab, lässt sich auf ihr Bett fallen und schläft in ihren Kleidern ein.
    Um zehn Uhr am nächsten Morgen, Freitag, den zweiundzwanzigsten März, wacht sie auf.
    Sie stellt den Fernseher an und sucht einen französischen Satellitenkanal. Sie muss sich mit TV 5 begnügen, dem internationalen Sender französischsprachiger Länder. Mittags, nach einer Debatte über die Jagd in der französischen Schweiz und nach einem Dokumentarfilm über die Nationalparks in Quebec, erwischt sie endlich die Nachrichten des Ersten Französischen Fernsehens, TF 1, die am Vorabend in Frankreich ausgestrahlt worden sind.
    Eine Meldung, mit der sie gerechnet hatte: die Entdeckung der Leiche Jean-Louis Schiffers auf dem Friedhof Père-Lachaise. Eine weitere Neuigkeit hat sie nicht erwartet, derzufolge zwei weitere Leichen am selben Tag in einer Villa in Saint-Cloud gefunden worden sind.
    Als sie das Anwesen wiedererkennt, stellt Sema den Ton lauter. Man hat die Opfer identifiziert: Frédéric Gruss, Schönheitschirurg und Besitzer des Hauses, und Paul Nerteaux, Polizeiinspektor, sechsunddreißig Jahre alt, Angehöriger der Pariser Kriminalpolizei.
    Sema ist tief erschrocken. Der Kommentator fährt fort: »Noch hat niemand eine Erklärung für diesen Doppelmord gefunden, doch könnte er mit dem Tod von Jean-Louis Schiffer im Zusammenhang stehen. Paul Nerteaux ermittelte im Fall der Morde an drei Frauen, die in den letzten Monaten in dem Pariser Viertel Klein-Türkei verübt wurden. Im Rahmen der Ermittlungen hatte er den pensionierten Inspektor, der sich im 10. Arrondissement bestens auskannte, zu Rate gezogen... «
    Sema hat noch nie von diesem Nerteaux gehört - ein junger Kerl, ziemlich gut aussehend mit Haaren wie ein Japaner -, doch kann sie sich den logischen Ablauf der Dinge vorstellen. Nachdem die Grauen Wölfe drei Frauen umsonst ermordet hatten, haben sie endlich die richtige Spur gefunden, den Chirurgen, der sie im Sommer 2001 operiert hat. Parallel dazu muss der junge Polizist dieselbe Spur verfolgt und den Mann in Saint-Cloud ausfindig gemacht haben. Er ist dorthin gefahren und in dem Moment angekommen, als die Grauen Wölfe ihn befragten. Die Sache hat auf türkische Weise geendet: in einem Blutbad.
    Sema hatte es immer vorausgesehen. Die Wölfe würden irgendwann ihr neues Gesicht entdecken, und von diesem Moment an würden sie genau wissen, wo sie sie finden könnten. Aus einem einfachen Grund: Ihr Chef ist Monsieur Wildleder, der Liebhaber mit Marzipan gefüllter Schokolade, der regelmäßig das Schokoladengeschäft aufsuchte. Sie kennt diese verblüffende Wahrheit, seit sie ihr Gedächtnis wiedergefunden hat. Er heißt Azer Akarsa, und die erwachsene Sema erinnert sich, dass sie ihn als Jugendliche auf einer Versammlung der Idealisten gesehen hat, in Adana, wo er als Held gefeiert wurde ...
    Dies ist die größte Ironie der Geschichte: Der Mörder, der sie seit mehreren Monaten im 10. Arrondissement suchte, hat sie zwei Mal in der Woche beim Kauf seiner Lieblingssüßigkeiten gesehen, ohne sie zu erkennen.
    Nach dem Fernsehbericht hat sich das Drama von Saint-Cloud gestern etwa um fünfzehn Uhr zugetragen. Sema ahnt instinktiv, dass sich die Wölfe gleich am nächsten Tag über das Schokoladengeschäft hermachen werden.
    Also in diesem Augenblick!
    Sie stürzt ans

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