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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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schlängelte sich den Hügel von Saint-Cloud hinauf. Der Hügel schien in prachtvolles Frühlingslicht getaucht, das dazu einlud, mit nackten Schultern herumzuschlendern oder mit kraftlosen Bewegungen die Bürgersteige vor den Straßencafes zu bevölkern. Zu schade: Paul hätte sich für den letzten Akt einen apokalyptischen Himmel gewünscht, von Gewittern zerrissen, in tiefes Schwarz gehüllt.
    Während er den Boulevard hinauffuhr, erinnerte er sich an den Besuch des Leichenschauhauses in Garches, gemeinsam mit Schiffer. Wie viele Jahrhunderte mochten seit jenem Tag vergangen sein?
    Auf der Hügelkuppe angekommen, sah er vor sich die ruhigen und heiteren Straßen. Die Crème de la Crème der besseren Viertel. Eitelkeit und Reichtum zusammengedrängt an diesem Ort, der die Seine und die »Unterstadt« beherrschte.
    Paul schlotterte, Fieber, Erschöpfung und Erregung durchfuhren seinen Körper. Kleine Störungen behinderten die Sicht, dunkle Sterne schlugen in seine Augenhöhlen. Er konnte dem Schlaf nicht widerstehen, es war eine seiner Schwächen, nie hatte er es geschafft, selbst als er in der Kindheit von Angst gelähmt auf die Rückkehr seines Vaters wartete.
    Sein Vater. Das Bild des Alten begann mit dem Bild Schiffers zu verschmelzen, die zerfetzten Skai-Sitze mischten sich mit den Verletzungen der von Asche bedeckten Leiche ...
    Eine Autohupe weckte ihn. Die Ampel war auf Grün umgesprungen, und er war eingeschlafen. Wütend fuhr er an und fand endlich die Rue des Chênes.
    Er bog in die Straße ein und verlangsamte das Tempo auf der Suche nach der Hausnummer 37. Die Wohnhäuser waren unsichtbar, sie versteckten sich hinter Steinmauern oder Pinienhecken, Insekten brummten, und die gesamte übrige Natur schien eingeschläfert von der Frühlingssonne.
    Er fand genau vor der richtigen Nummer, einer schwarzen Eingangstür zwischen weiß gekalkten Mauern, einen Parkplatz. Paul wollte gerade klingeln, als er sah, dass der Türflügel offen stand. Ein Alarmsignal ging in seinem Kopf an, denn eine offene Tür passte nicht zu der Atmosphäre allgemeinen Misstrauens, die in diesem Viertel herrschte. Paul löste mit einer mechanischen Handbewegung den Klettverschlussriemen, der seine Waffe in den Halfter presste.
    Der Park der Villa hatte keine Überraschung zu bieten: Rasenfläche, graue Baumriesen, Allee aus Kies, an deren Ende sich das Wohnhaus auftürmte - groß und stattlich stand es da mit seinen weißen Wänden und schwarzen Fensterläden. Eine Garage mit zwei oder drei Stellplätzen, verschlossen von einem schwenkbaren Tor, schloss sich seitlich an das Gebäude an.
    Weder ein Hund noch ein Diener kamen ihm entgegen.
    Innen nicht die kleinste Regung, wie es schien. Das Alarmsignal in seinem Kopf wurde stärker.
    Er nahm die drei Stufen der Eingangstreppe, als er einen neuen Missklang wahrnahm: ein zerbrochenes Fenster. Er schluckte, entsicherte seine 9-Millimeter mit allergrößter Vorsicht, schob den Fensterflügel auf und kletterte über das Fensterbrett, wobei er darauf achtete, nicht auf die Glasscherben zu treten, die den Boden bedeckten. Einen Meter entfernt, auf der rechten Seite gelegen, begann der Vorraum. Paul bewegte sich vollkommen lautlos, er drehte dem Eingang den Rücken zu und durchquerte den Flur.
    Links eine offene Tür mit der Aufschrift »Wartezimmer«. Weiter rechts eine andere sperrangelweit geöffnete Tür, vermutlich das Sprechzimmer des Arztes. Zuerst bemerkte er die Wand des Raumes, die mit schalldichtem Material - mit einem Strohgemisch überzogene Gipsplatten - verkleidet war. Dann bemerkte er den Fußboden, auf dem überall Fotos herumlagen: Frauengesichter mit Verbänden, Schwellungen, Nähten. Die letzte Bestätigung seines Verdachts, dass jemand das ganze Haus durchsucht hatte.
    Ein Krachen war von der anderen Seite der Mauer zu hören.
    Paul blieb steif stehen, die Finger fest an den Pistolenkolben gepresst. In dieser Sekunde begriff er, dass er nur für diesen Augenblick gelebt hatte. Ganz gleich, wie lange das Leben dauerte, ganz gleich, wie viel Glück, wie viel Hoffnung und wie viel Enttäuschung es beschert hatte: Nur die heroische Seite zählte. Er wusste, dass die folgenden Sekunden seinem Aufenthalt auf Erden seinen Sinn geben würden. Ein paar Unzen Mut und Ehre auf der Waagschale der Seelen...
    Er sprang auf die Tür zu, als plötzlich die Wand in tausend Stücke zerbarst. Paul wurde an die gegenüberliegende Wand geschleudert, Feuer und Rauch füllten im Nu den Flur.

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