Das Imperium der Woelfe
sardonischer Starre.
Paul zückte erneut die Waffe, einer musste diesen Wahnsinnigen zur Vernunft bringen. Er wollte gerade durchladen, als der Türke die gesunde Hand nach einem der chromblitzenden Schränke neben dem Kopierer ausstreckte. Marius versuchte, den Schlüsselbund an seinem Gürtel zu fassen. Chiffre entriss ihm die Schlüssel und ließ sie nacheinander vor seinen Augen vorbeigleiten. Mit einer Kopfbewegung zeigte ihm der Türke den Schlüssel zu dem Schloss.
Der alte Polizist begann den Aktenschrank zu öffnen, und Paul nutzte die Zeit, um den Gepeinigten zu befreien. Er hob vorsichtig das von rötlichen Hautfetzen besudelte Messer. Der Türke fiel vor der Maschine zu Boden, rollte sich zusammen und stöhnte: »Krankenhaus, Krankenhaus!«
Mit verwirrtem Blick wandte sich Schiffer um, ein Aktendeckel, der mit einem Stoffstreifen umwickelt war, lag in seiner Hand. Er löste den Knoten mit einer unkoordinierten Bewegung und klappte die Pappe auf, in der sich die Akte mit den drei Polaroidfotos der Opfer befand.
Paul stand unter Schock, doch er begriff, dass sie gewonnen hatten.
Kapitel 26
Sie nahmen den Notausgang und rannten zu ihrem Golf. Unter Aufbietung aller Kräfte setzte Paul den Wagen in Bewegung und wäre beinahe mit einem vorbeifahrenden Auto zusammengestoßen.
Er bog, das Gaspedal durchgetreten, nach rechts in die Rue Lucien-Sampaix. Mit einiger Verspätung begriff er, dass er in eine Einbahnstraße gefahren war. Er wendete erneut und bog nach links in den Boulevard de Magenta.
Die Wirklichkeit verschwamm vor seinen Augen, Tränen mischten sich mit dem Regen, der auf die Windschutzscheibe fiel. Sein Blick war getrübt, im letzten Moment konnte er die Ampeln erkennen, die wie Wunden zu bluten schienen; dabei war es nur der Platzregen.
Ohne zu bremsen, überquerte er die erste Kreuzung, dann die nächste, ein Verkehrschaos und Hupkonzert war die Folge. An der dritten kam es zum Unfall. Es summte wenige Sekunden in seinem Kopf, bevor er wusste, was zu tun war. Grün.
Er gab Gas, ohne zu kuppeln, würgte den Motor ab, fluchte. Er drehte den Zündschlüssel herum, als er Schiffers Stimme hörte: »Wohin fährst du?«
»Zur Polizeistation«, sagte er atemlos. »Ich verhafte dich, du Schwein.«
Auf der anderen Seite des Platzes leuchtete die Gare de l'Est wie ein Kreuzfahrtschiff. Er fuhr wieder los, als Chiffre sein Bein herübergleiten ließ und auf das Gaspedal trat. »Verdammte Scheiße... «
Schiffer griff ins Steuer und drehte es nach rechts. Sie gelangten in die Rue Sibour, eine schmale gekrümmte Straße, die an der Kirche Saint-Laurent vorbeiführt. Er ruckte erneut am Steuer, immer noch mit einer Hand, worauf der Golf über die Fahrradweg-Markierung holperte und den Bordstein rammte. Paul schlug das Steuer in die Rippen. Er schluchzte, musste husten, zerfloss in beißendem Schweiß und ballte die Hände zur Faust, um seinem Kollegen den Kiefer einzuschlagen.
Leichenblass kauerte Jean-Louis Schiffer auf dem Beifahrersitz. Paul ließ von seinem Vorhaben ab, er konnte diesen Mann nicht schlagen, der mit einem Mal um zwanzig Jahre gealtert war. Sein Profil verschwamm um die Linie seines schlaffen Halses, seine Augen waren so glasig, dass sie durchsichtig wirkten. Ein richtiger Totenschädel.
»Sie sind bescheuert«, zischte Paul, indem er ihn zum Zeichen seines Abscheus wieder siezte. »Verdammt bescheuert. Ich werde Sie belasten, mit allem, was ich weiß. Sie kratzen im Gefängnis ab, Sie schweinischer Folterer!«
Schiffer sagte kein Wort, kramte im Handschuhfach, zog einen alten Stadtplan von Paris hervor und riss ein paar Seiten heraus, um seine blutbespritzte Jacke zu reinigen. Seine fleckigen Hände zitterten, und zwischen den Zähnen zischte er: »Es gibt nicht unendlich viele Möglichkeiten, mit diesen Arschfickern umzugehen.«
»Wir sind Polizisten.«
»Marius ist ein Schweinehund, er macht seine Nutten von sich abhängig, indem er ihre Kinder zu Hause verstümmelt. Ein Arm, ein Bein; da halten die türkischen Mütter die Klappe.«
»Wir vertreten das Gesetz.«
Paul atmete ruhig durch, er hatte seine innere Ruhe zurückgewonnen. Er konnte wieder klar sehen, blickte auf eine schwarze Kirchenwand und auf Wasserspeier, die über ihrem Kopf in die Straße ragten wie Galgen, und überall war der Regen, der die Nacht in seinen Klauen hielt.
Schiffer ließ die blutverschmierten Seiten fallen, kurbelte das Fenster herunter und spuckte aus.
»Es ist zu spät, mich
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