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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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er: »Es gibt keinen anderen Weg. Sie haben beschlossen, nichts zu sagen.«
    »Wer sind >sie< ?«
    »Die Türken. Das Viertel ist abgeriegelt, zum Teufel noch mal. Wir müssen ihnen jeden kleinsten Teil der Wahrheit entreißen.«
    Pauls Stimme brach, sie steigerte sich zu einem Schrei: »Aber warum tun sie das? Warum wollen sie uns nicht helfen?«
    Chiffre starrte noch immer die steinernen Figuren an, sein Gesicht war beinahe ebenso blass wie die Deckenleuchte: »Hast du es immer noch nicht kapiert? Sie schützen den Mörder.«

 
     
     
     
     
     
     
    fünf

Kapitel 27
     
    In seinen Armen war sie gewesen wie ein Fluss, eine strömende, leichte, hingebungsvolle Kraft. Tag und Nacht flutete eine Welle über das dürstende Gras, ohne je an Elan oder Hingabe einzubüßen. Sie war durch seine Hände geflossen, durch das Helldunkel der Wälder hindurch, ein Bett von Moos im Schatten der Felsen. Sie hatte sich in den Lichtungen, die unter ihren Pupillen aufschienen, aufgebäumt, wenn sie die Lust überkam. Dann hatte sie sich erneut hingegeben, in einer langsamen Bewegung, sich verflüchtigend unter seinen Handflächen...
    Im Lauf der Jahre hatte es verschiedene Zeitabschnitte gegeben. Leichtes, lachendes Wassergegurre. Haare voller Schaum, von Zorn geschüttelt. Auch Furten, Ruhepausen, in denen sie sich nicht mehr berührten. Aber diese Ruhepausen waren sanft, sie hatten die Leichtigkeit von Schilf, die Glattheit von freigelegten Flusskieseln.
    Als die Strömung sie wieder erfasste und erneut bis zu den entferntesten Ufern trug, unter Seufzen und halb geöffneten Lippen, geschah dies, um immer noch besser zu der einzigartigen Lust zu finden, in der alles nur eins war - und der andere alles.
    »Verstehen Sie, Doktor?«
    Mathilde Wilcrau schreckte auf. Sie blickte auf das zwei Meter entfernt stehende Knoll-Sofa, das einzige Möbelstück im Zimmer, das nicht aus dem 18. Jahrhundert stammte. Darauf lag ein Mann, ein in seine Träumereien versunkener Patient. Sie hatte ihn vollkommen vergessen, hatte kein Wort mitbekommen.
    Sie kaschierte ihre Irritation, indem sie erwiderte: »Nein, ich versteh' Sie nicht. Sie formulieren nicht genau genug. Versuchen Sie bitte, es mit anderen Worten auszudrücken.«
    Der Mann setzte seine Erläuterungen fort, die Nase zur Decke gerichtet, die Hände über der Brust gekreuzt. Vorsichtig zog Mathilde aus einer Schublade eine Feuchtigkeitscreme hervor, und als sie die Frische auf den Händen spürte, kam sie wieder zu sich. Immer häufiger und intensiver waren ihre Gedanken in letzter Zeit abgeschweift. Sie trieb die Neutralität des Psychoanalytikers ins Extrem, sie war buchstäblich gar nicht mehr da. Früher hatte sie den Worten ihrer Patienten aufmerksam zugehört. Hatte Fehlleistungen entdeckt, auf Zögerlichkeiten und Entgleisungen geachtet. Kleine weiße Kiesel, mit deren Hilfe sie den Spuren von Neurosen und Traumatisierungen nachgehen konnte... Doch heute?
    Sie legte die Tube zurück in die Schublade und rieb sich die Hände ein. Nähren, Befeuchten, Beruhigen. Die Stimme des Mannes war nur noch ein Geräusch, in dem sich ihre eigene Melancholie wiegte.
    Ja. In seinen Armen war sie wie ein Fluss gewesen. Aber es hatte immer mehr Furten gegeben, immer längere Pausen. Sie hatte sich zunächst geweigert, sich Sorgen zu machen, in diesen Pausen die ersten Zeichen des Niedergangs zu erkennen. Sie war blind geworden, durch die Kraft ihrer Hoffnung und den Glauben an die Liebe. Dann hatte sie den Geschmack von Staub auf der Zunge und andauernde Gliederschmerzen. Bald schienen ihre Adern zu trocknen, wie Stein zu werden, leblos, leer. Bevor die Herzen der Situation einen Namen gaben, hatten die Körper bereits gesprochen.
    Dann war das Zerwürfnis in ihr Bewusstsein eingedrungen, und die Worte hatten die Entwicklung vollendet. Die Trennung war offiziell. Die Zeit der Formalitäten hatte begonnen. Man musste zum Richter gehen, die Pensionsansprüche ausrechnen, den Umzug organisieren. Mathilde hatte sich vorbildlich verhalten. Sie blieb stets wachsam. Immer verantwortungsvoll. Doch in Gedanken war sie bereits anderswo. Sobald sie konnte, versuchte sie, sich zu erinnern, Reisen ins eigene Selbst zu unternehmen, in ihre eigene Geschichte, verwundert darüber, dass sie in der Erinnerung so wenig Spuren und Abdrücke von damals fand. Ihr ganzes Wesen war wie eine verbrannte Wüste, ein antiker Ort, an dem nur noch wenige Furchen an der Oberfläche viel zu weißer Steine an die Vergangenheit

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