Das Imperium der Woelfe
seltene Henna-Art, die nur in Anatolien angepflanzt wird.«
Alain Veynerdi warf Anna einen triumphierenden Blick zu. Es schien, als hätte er sein ganzes Leben nur für diesen einen Augenblick gelebt: »Madame, Sie waren in Ihrem früheren Leben Türkin.«
sechs
Kapitel 33
Ein Albtraum wie nach einem schlimmen Kater. Die ganze Nacht hatte Paul Nerteaux von einem steinernen Ungeheuer geträumt, einem boshaften Titanen, der durch das 10. Arrondissement streift, von einem Moloch, der das türkische Viertel in Schach hält und rituelle Opfer fordert.
In seinem Traum trug das Ungeheuer eine halb menschliche und halb tierische Maske, und es war zugleich griechischen und persischen Ursprungs. Seine Lippen aus Stein waren weiß glühend, sein Geschlecht mit Klingen bewehrt. Jeder seiner Schritte löste eine Erschütterung aus, die Staub aufwirbelte und sämtliche Gebäude mit Rissen übersäte.
Schweißgebadet war er um drei Uhr morgens aufgewacht, hatte sich zitternd in seiner kleinen Drei-Zimmer-Wohnung Kaffee gekocht und erneut die archäologischen Unterlagen studiert, die seine Mitarbeiter am Vorabend vor seiner Tür deponiert hatten.
Bis zum Morgengrauen hatte er die Museumskataloge gewälzt, die Reisebroschüren und wissenschaftlichen Werke durchgesehen, jede Skulptur betrachtet und mit den Abbildungen der Autopsien verglichen - und unbewusst auch mit der Maske aus seinem Traum. Sarkophage aus Antalya. Fresken aus Kilikien, Reliefs aus Karatepe. Büsten aus Ephesus... Er hatte Zeitalter und Zivilisationen durchschritten, ohne das kleinste Ergebnis zu erzielen.
Paul Nerteaux betrat die Brasserie Les Trois Obus an der Porte de Saint-Cloud. Der Geruch nach Kaffee und Tabak schlug ihm entgegen, und er bemühte sich, seine Sinne abzuschotten und ein Gefühl des Ekels zu unterdrücken. Seine üble Laune hatte nicht nur mit seinen Albträumen zu tun. Es war Mittwoch, und wie fast jeden Mittwoch hatte er am frühen Morgen wieder Reyna anrufen müssen, um ihr zu sagen, dass er sich heute nicht um Céline kümmern könne.
Er entdeckte Jean-Louis Schiffer am anderen Ende der Theke, frisch rasiert und in einen Burberry-Trenchcoat gehüllt, wirkte er wie aus dem Ei gepellt. Hochmütig tauchte er sein Croissant in den Milchkaffee.
Als er Paul erblickte, setzte Schiffer ein breites Grinsen auf: »Gut geschlafen?«
»Fantastisch.«
Schiffer betrachtete das zerknitterte Gesicht seines Kollegen, enthielt sich jedoch jeden Kommentars.
»Kaffee?«
Paul nickte. Gleich darauf stand ein starker schwarzer Kaffee mit einem Rand aus braunem Schaum auf der Theke. Chiffre nahm die Tasse und wies auf einen freien Tisch am Fenster.
»Komm, setz dich. Du scheinst nicht besonders gut drauf zu sein.«
Als sie am Tisch saßen, reichte er ihm einen Korb mit Croissants. Paul lehnte ab. Der Gedanke, etwas zu essen, trieb ihm das Sodbrennen in die Kehle. Glücklicherweise machte Schiffer heute einen auf Freundschaft.
»Und Sie, gut geschlafen?«
»Wie ein Stein.«
Paul sah wieder zerschnittene Finger und blutüberströmtes Schneidegerät vor seinem inneren Auge. Nach dem Gemetzel hatte er Chiffre bis zur Porte de Saint-Cloud gefahren, wo er in der Rue Gudin eine Wohnung besaß. Seit diesem Zeitpunkt schlug er sich mit einer Frage herum: »Wenn Sie doch diese Wohnung haben«, er zeigte durch das Fenster auf den grauen Platz, »was wollen Sie dann in Longères?«
»Herdentrieb. Stallgeruch der Bullen. Allein habe ich mich zu sehr gelangweilt.«
Eine hohle Erklärung. Paul fiel ein, dass sich Schiffer unter fremdem Namen im Altersheim angemeldet hatte, dem Mädchennamen seiner Mutter. Den Tipp hatte ihm einer von der IGS gegeben. Noch ein Rätsel. Versteckte er sich, und wenn ja, vor wem?
»Hol die Akten raus«, befahl Chiffre.
Paul öffnete den Ordner und legte die Dokumente auf den Tisch. Es waren keine Originale. Er war sehr früh im Büro vorbeigefahren, um Fotokopien zu machen. Zuvor hatte er jede Akte mithilfe seines türkischen Lexikons gründlich studiert, um die Familiennamen der Opfer und weitere sie betreffende Informationen herauszufinden.
Die erste Frau hieß Zeynep Tütengil. Sie arbeitete direkt neben dem Hammam La Porte bleue, in einer Werkstatt, die einem gewissen Talat Gurdilek gehörte. Siebenundzwanzig. Verheiratet mit Burba Tütengil. Keine Kinder. Wohnung in der Rue de la Fidélité 34. Stammte aus einem Dorf mit unaussprechlichem Namen in der Nähe der Stadt Gaziantep in der
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