Das Imperium der Woelfe
die Arbeiter hindurch, die sich bemühten, ihn zu ignorieren.
»Sind die nicht nett? Bilderbuch-Arbeiter, mein Junge. Arbeitsam, gehorsam, diszipliniert.«
»Warum dieser ironische Ton?«
»Türken sind nicht arbeitsam, sie sind auf Profit aus. Sie sind nicht gehorsam, so was ist ihnen gleichgültig. Sie sind nicht diszipliniert, denn sie folgen stets ihren eigenen Regeln. Verdammte Blutsauger, das sind sie. Plünderer, die sich nicht mal bemühen, unsere Sprache zu lernen ... Wozu auch? Sie sind hier, um möglichst viel zu verdienen und so schnell wie möglich wieder abzuhauen. Ihre Devise lautet: >Alles nehmen, nichts zurücklassen.<«
Schiffer packte Paul am Arm: »Die sind eine Krankheit, Kleiner.«
Paul stieß ihn heftig zurück: »Sie sollen mich nicht >Kleiner< nennen!«
Schiffer streckte die Hände in die Luft, als habe Paul ihn mit einer Waffe bedroht. Er sah ihn spöttisch an. Paul hätte ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen, um dieses Grinsen nicht sehen zu müssen, doch eine Stimme in ihrem Rücken hielt ihn zurück: »Was kann ich für Sie tun, meine Herren?«
Ein Mann von gedrungener Gestalt in einem sauberen blauen Kittel kam auf sie zu, mit einem pomadigen Lächeln, das am Schnurrbart zu kleben schien.
»Herr Inspektor?«, fragte er erstaunt. »Wie lange haben wir schon nicht mehr das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen.«
Schiffer brach in Lachen aus. Die Musik war abgeschaltet. Die Maschinen verstummten. Es herrschte Totenstille.
»Warum sprichst du mich nicht mit >Schiffer< an? Du duzt mich nicht mehr?«
Statt einer Antwort warf der Werkmeister einen misstrauischen Blick auf Paul.
»Paul Nerteaux«, fuhr der Polizist fort. »Hauptmann der Kriminalpolizei. Mein Vorgesetzter, aber in erster Linie ein Freund.« Er klopfte Paul spöttisch auf den Rücken. »Du kannst mit ihm genauso offen reden wie mit mir.«
Er ging auf den Türken zu und legte ihm die Arme um die Schultern. Das Ballett war auf den Schritt genau ausgeklügelt: »Achmed Zoltanoi«, sagte er und wendete sich Paul zu. »Der beste Werkmeister der Klein-Türkei. Genauso steif wie sein Kittel, aber ein feiner Kern - je nach Gelegenheit. Hier wird er Tanoi genannt.«
Der Türke verneigte sich. Unter seinen kohlschwarzen Brauen schien er den Neuankömmling abzuschätzen. Freund oder Feind? In seinem öligen Tonfall wandte er sich wieder an Schiffer: »Man hatte mir gesagt, dass Sie im Ruhestand sind.«
»Höhere Gewalt. Wenn es dringend ist, wen ruft man dann? Onkel Schiffer.«
»Was für ein dringender Fall, Herr Inspektor?«
Chiffre fegte ein paar Stoffreste von einem Zuschneidetisch und legte das Bild von Roukiyé Tanoyl darauf: »Kennst du sie?«
Der Mann beugte sich nach vorn, Hände in den Taschen, Daumen herausstehend, die gestärkten Kittelfalten schienen ihn im Gleichgewicht zu halten.
»Nie gesehen.«
Schiffer drehte das Polaroidfoto um, auf dem weißen Bildrand konnte man den mit wasserfestem Filzstift geschriebenen Namen des Opfers und die Adresse der Werkstatt Sürelik lesen.
»Marius hat gestanden. Und ihr seid alle geliefert, glaub mir das!«
Der Türke war verunsichert. Widerwillig nahm er das Foto in die Hand, setzte seine Brille auf und betrachtete es eingehend: »Ja, sie sagt mir tatsächlich was.«
»Sie sagt dir mehr als das. Sie war seit August 2001 hier. Richtig?«
Tanoi legte das Foto vorsichtig hin.
»Ja.«
»Was für eine Arbeit machte sie?«
»Konfektionsnäherin. «
»Hast du sie unten untergebracht?«
Der Betriebsleiter zog die Brauen hoch und steckte seine Brille ein. Hinter ihnen hatten die Arbeiter ihre Tätigkeit wieder aufgenommen, sie schienen begriffen zu haben, dass die Bullen nicht ihretwegen gekommen waren und dass nur ihr Chef Probleme hatte.
»Unten?«, wiederholte er.
»In deinen Kellern«, setzte Schiffer gereizt nach. »Wach auf, Tanoi. Oder ich werde langsam ungemütlich.«
Nervös wippte der Türke mit den Absätzen auf und nieder, trotz seines Alters umgab ihn die Ausstrahlung eines zerknirschten Schuljungen: »Sie arbeitete in den unteren Werkstätten, ja.«
»Wo kam sie her, aus Gaziantep?«
»Nicht direkt Gaziantep. Aus einem Dorf in der Nähe. Sie sprach einen südlichen Dialekt.«
»Wer hat ihren Pass?«
»Es gibt keinen Pass.«
Schiffer seufzte, als fände er sich mit dieser neuen Lüge ab.
»Erzähl von ihrem Verschwinden.«
»Da gibt es nichts zu erzählen. Das Mädchen hat am Donnerstagmorgen die Werkstatt verlassen. Sie ist nie zu Hause
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