Das Imperium der Woelfe
Konfektionsgewerbe basiert auf Sklaverei.«
Der Türke bemühte sich, beschämt dreinzuschauen, doch seine Augen konnten einen Anflug von Stolz nicht verbergen. Paul beobachtete die Arbeiterinnen, und manche blickten zu ihm zurück, während sie ihre Arbeit fortsetzten, als könne nichts und niemand ihre Bewegungen aufhalten.
Er stellte sich die matten Gesichter der Opfer mit den langen Einschnitten und den blutigen Rissen vor. Wie kam der Mörder an diese unterirdisch arbeitenden Frauen heran? Wie hatte er ihre Ähnlichkeit festgestellt?
Chiffre setzte sein Verhör mit lauter Stimme fort: »Beim Schichtwechsel kommen die Lieferanten und holen die fertige Arbeit ab, richtig?«
»Genau.«
»Wenn dann noch die Arbeiter dazukommen, die die Werkstatt verlassen, sind um sechs Uhr morgens ziemlich viele Leute auf der Straße. Und keiner will was gesehen haben?«
»Ich schwöre es.«
Der Polizist lehnte sich gegen die Gipswand.
»Schwör besser nicht. Dein Gott ist nicht so mild wie meiner. Hast du mit den Chefs der anderen Opfer gesprochen?«
»Nein.«
»Du lügst. Aber das ist nicht schlimm. Was weißt du über die Mordserie?«
»Es heißt, die Frauen wurden gefoltert, ihr Gesicht zerstört. Mehr weiß ich nicht.«
»Hat dich kein Bulle aufgesucht?«
»Nein.«
»Und was macht eure Miliz?«
Paul zitterte. Er hatte nie davon gehört. Das Viertel besaß also eine eigene Polizei. Tanoi brüllte, um den Maschinenlärm zu übertönen: »Weiß nicht. Die haben nichts gefunden.«
Schiffer wies auf die Arbeiterinnen: »Und sie, was denken sie darüber?«
»Sie trauen sich nicht mehr nach draußen. Sie haben Angst. Allah kann das nicht zulassen. Über dem Viertel liegt ein Fluch! Asrael ist da, der Engel des Todes!«
Chiffre lächelte, schlug dem Mann freundschaftlich auf den Rücken und wies in Richtung Tür: »So ist's richtig. Endlich mal ein guter, einfühlsamer Mensch... «
Sie gingen auf den Flur hinaus. Paul folgte ihnen und schloss den Bretterverschlag hinter der Hölle mit den Nähmaschinen. Noch während er dies tat, hörte er ein ersticktes Röcheln. Schiffer hielt Tanoi gegen die Rohre gepresst.
»Wer bringt die Mädchen um?«
»Ich ... ich weiß es nicht.«
»Wen deckt ihr Spinner?«
Paul griff nicht ein. Er ahnte, dass Schiffer nicht weiter gehen würde. Nur ein letzter Ausbruch von Wut, eine Art Ehrengefecht. Tanoi antwortete nicht, ihm wurde schwarz vor Augen.
Chiffre ließ ihn los. Er ließ ihn unter einer nackten Glühbirne, die wie ein Pendel hin und her schwang, wieder Atem holen und sagte leise:
»Du hältst absolut dicht. Kein Wort von unserem Besuch zu irgendjemand.«
Der Betriebsleiter blickte zu Schiffer auf. Er hatte seinen servilen Gesichtsausdruck wieder gefunden: »Ich halte doch immer dicht, Herr Inspektor.«
Kapitel 35
Ruya Berkes, Jas zweite Opfer, arbeitete nicht in einer Werkstatt, sondern in ihrer Wohnung, Rue d'Enghien 58. Von Hand nähte sie Futter in Mäntel, die sie danach in das Lager des Pelzmachers Gozar Halman brachte, in die Rue Sainte-Cécile 77, eine Querstraße zur Rue du Faubourg-Poissonnière. Sie hätten mit der Wohnung der Arbeiterin beginnen können, doch Schiffer wollte zuerst den Arbeitgeber verhören, den er seit langem zu kennen schien.
Schweigend steuerte Paul den Wagen, er genoss es, wieder an der frischen Luft zu sein. Und doch ahnte er neue Überraschungen auf sie zukommen, während die Schaufenster des Viertels allmählich düsterer wurden, sich mit flauschigen, buschigen Waren füllten. Je mehr sie sich von der Rue du Fau-bourg-Saint-Denis und der Rue du Faubourg-Saint-Martin entfernten, desto mehr traten in den Auslagen der Geschäfte Felle und Leder an die Stelle von Kleidern und Stoffen.
Er bog nach rechts in die Rue Sainte-Cécile ein, und Schiffer sagte, er solle anhalten. Sie waren vor dem Haus Nummer 77 angekommen.
Paul rechnete mit einer Kloake voll abgezogener Häute, getrocknetem Blut, totem Fleisch. Doch ihn erwartete ein kleiner Hof, hell und mit Blumen bepflanzt, das Pflaster vom Morgentau benetzt. Ohne zu zögern, überquerten die beiden Polizisten den Hof und standen vor einem Gebäude mit vergitterten Fenstern, der einzigen Fassade, die an ein Warenlager erinnerte.
»Ich mache dich darauf aufmerksam, dass Gozar Halman ein Fan von Tansu Ciller ist.«
»Wer ist das? Ein Fußballspieler?«
Der Polizist kicherte. Sie stiegen eine mächtige graue Holztreppe hinauf.
»Tansu Ciller war Premierminister der Türkei. Hat in
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